Landjugendheime

Hogar Juvenil Campesino, Florencia, Caldas, mit Richard

Leider hat es in der Schweiz zu meiner Zeit keine Landjugendheime gegeben sonst hätten wir jungen Leute aus den Landgebieten einfacher Zugang zur Mittelschule gehabt. Damit ich meine Handelsmatura im Kollegium Brig (VS) machen konnte musste ich im Internat leben und das war für damalige Verhältnisse nicht billig. So hatte ich keine andere Wahl als im Freiluftrestaurant Baschi in Geschinen (Goms) während den Ferien die im Wallis so beliebten Raclette zu “streichen” und damit den Aufenthalt in Brig zu finanzieren.

Hogar Juvenil Campesino, San Diego, Caldas, Einweihung

Daran dachte ich immer wieder, als ich anfangs der 70-ger Jahre die in Kolumbien bekannten Landjugendheime kennenlernte. Ihr Gründer und Direktor Pater Ivan Cadavid war damals ein guter Freund von mir.

Hogar Juvenil Campesino, Samaná, Caldas

Er kannte die enorme Problematik der Landjugend, die nur mit Mühe die Primarschule abschliessen konnte. Ein Weiterstudium an einer Mittelschule war ausgeschlossen, weil sich diese viel zu weit vom Elternhaus befand und der einfache Landbauer zu wenig Geld besass, um ein Internat zu bezahlen.

So kam mein Freund Cadavid auf die ausgezeichnete Idee, sogg. Landjugendheime aufzubauen. Hier handelt es sich immer um ein Heim für rund 50 – 100 Jugendliche in der Nähe eines grösseren Dorfes, welches mit einer guten Mittelschule rechnet. Hier kann der,die  junge Student-in während der Woche leben, im Dorf studieren und am Wochenende zu seinen-ihren  Eltern aufs Land. Jedes Heim hat ein grösseres Landstück, damit die wichtigsten Esswaren selber angebaut werden können.

Hogar Juvenil Campesino, Victoria, Caldas

Als ich 1977 meine jetzige Frau Ana Dilia und ihre Provinz – Caldas – kennenlernte, fand ich sofort die gleiche Problematik  vor: viele junge Menschen aus dem Land konnten keine Mittelschule besuchen; diese war zu entfernt und das wenige elterliche Geld reichte nicht für die Ausgaben während der Woche.

Hogar Juvenil Campesino, Arboleda, Caldas

Somit begann der Aufbau des ersten Landjugendheimes in Arboleda: 5 Hektaren Land und ein einfaches aber gut eingerichtetes Heim, wo die Landjugendlichen während der Woche wohnten. Der Erfolg war gross und ich entschied mich zu einem weiteren Heim: Florencia (Geburtsort meiner Frau). Dort kauften wir rund 14 Hektaren Land und begannen mit dem Aufbau. Noch bevor der erste Ziegel gelegt wurde stellte man mich vor 2 Alternativen zum Aufbau der Gebäude: Vertrag mit einem Baumeister, der die Arbeit in 4 Monaten abschliessen würde oder die Rekrutierung von 30 jungen Mannen, die das Heim unter der Leitung eines Baumeisters (bezahlt von der Regierung)  in 1 Jahr aufbauen würden. Diese zweite Alternative beinhaltete die Ausbildung dieser Jugendlichen zu Maurern, die nach Abschluss jeder ein staatliches Baumeisterdiplom erhielt. Gesagt, getan: nach etwa 13 Monaten hatten wir unser Heim für 80 Studenten und  25 Maurer hatten eine solide Ausbildung. Noch Jahre später traf ich den einen oder anderen dieser Baumeister: es fehlte ihnen nie an Bauaufträgen und deren Familien ging es gut.

Nach Arboleda und Florencia kamen, mit den Jahren, noch 3 weitere solcher Heime dazu: San Diego, Samaná und, schlussendlich, Victoria. Gesamthaft 5. Alle im gleichen Departement Caldas)

Die Aufbaumethode war praktisch immer dieselbe: mit Finanzmitteln aus der Schweiz kauften wir jeweils das Land, die Gemeindebehörden halfen mit und die späteren Nutzniesser – die Bauern und ihre Kinder – halfen mit der Arbeit und mit Lebensmitteln, damit das Mittagessen bei den Aufbauarbeiten im zukünftigen Heim nie fehlte.

Jedes Landjugendheim wurde dann den Bauern, die sich immer in einer Basisorganisation zusammenschlossen, übergeben. Trotzdem blieben wir immer in engem Kontakt zu ihnen.

Vor rund einem Jahr zogen wir eine erste Bilanz: in diesen 28 Jahren, seit dem Aufbau des ersten Heimes,

konnten rund 8000 Bauernkinder ihr Mittelschulstudium abschliessen.

Nicht alle, aber viele, dieser Maturanten, gingen dann anschliessend an die Universitäten der Departements-Hauptstadt Manizales.  So gibt es unter ihnen Pfarrer, kath. Schwestern, Ärzte, Krankenschwestern, Agronomen, Lehrer-Innen etc. Viele von ihnen arbeiten heute in den gleichen Dörfern dieser Landjugendheime und helfen bei der Verbesserung der wirtschaftlichen und sozialen Lage  der Bauerngemeinschaften.

Edilberto García Patiño, Director Fundación Apoyar

Aber einen Studenten des Heimes von Florencia möchte ich ganz besonders erwähnen. Edilberto García. Er kam 1993 als Student ins Heim und studierte dort bis zum Maturaabschluss, 4 Jahre später. Bei jedem meiner Besuche in Florencia kam ich gegen Feierabend immer ins Heim um mit den Studenten zu plaudern. Dabei fiel mir besonders Edilberto auf: intelligent, fröhlich, an allen Themen interessiert und gesprächsfreudig. So war es für mich gleich klar, dass dieser Student gefördert werden musste, besonders auch darum, weil gleich darauf sein Vater von der Guerrilla ermordet wurde. Mit unserer Hilfe engagierte er sich in 2 Landjugendheimen und studierte an der Uni weiter: zuerst Unernehmungsberatung und Buchhaltung (beide mit Abschlusstitel) und dann noch einen Master in Sozialarbeit. Nach diesem letzten Abschluss  koordinierte er unsere Entwicklungsprogramme in diesem Teil des Departementes. Sein äusserst guter sozialer Einsatz und seine kompetente Führung der Mitarbeiter überzeugten uns im Vorstand der Stiftung Apoyar dermassen, dass wir ihn vor 2 Jahren zum neuen Direktor ernannten. Und wir haben uns nicht getäuscht, er führt seither die Stiftung mit Überzeugung und hat bereits die Mitfinanzierung staatlicher Stellen für unsere Projekte erreicht. Für mich ist er eine Art “Adoptivsohn” der die nun 30-jährige Arbeit kompetent weiterführen wird.

Das so ersehnte Eigenheim

Die feindlichen Auseinandersetzungen der letzten 50 Jahre zwischen den Guerrillagruppen und der kolumbianischen Regierung haben rund 250’000 Todesopfer und mehr oder weniger 8 Millionen  Flüchtlinge gefordert. Diese Menschen mussten ihre angestammten Wohnorte wegen dem Krieg fluchtartig verlassen und in grösseren Städten Zuflucht suchen.

In den 30 Jahren unserer Sozialarbeit hat sich die Stiftung Apoyar vorallem diesen Menschen gewidmet: Kindern, Jugendlichen, Frauen und neue Eigenheime für diese Familien.

Das Elend, das wir in vielen grossen Städten antrafen ist nur schwer beschreibbar. Diese Familien, meistens Bauern, hatten ihre Einnahmen völlig verloren. Dazu wurden viele in der neuen Umgebung feindlich behandelt.

Mit der Unterstützung einer Hilfsorganisation in Genf, den örtlichen Gemeindeverwaltungen und der teilnehmenden Opfer konnten wir rund 400 Familien ein Eigenheim anbieten. Das Vorgehen war relativ einfach:

  1. Damals, noch als Leiter der Stiftung, nahm ich einen ersten Kontakt mit den jeweiligen Stadtverwaltungen auf. Fast immer gelang es mir, den Stadtpräsidenten zu überzeugen, uns für jeweils 120 Familien ein grösseres Stück Land zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Zusage besuchten wir dann die schlimmsten Fälle vertriebener Familien und nach einer längeren Auswahl fanden wir die Menschen, die ein Eigenheim am notwendigsten hatten. Dies beinhaltete natürlich eine Reihe von Versammlungen, Erklärungen und Verpflichtungen von allen Seiten.
  2. Mit Hilfe der Ingenieure der Stadt wurden die Pläne erarbeitet. Mit dem Geld aus Genf kauften wir das gesamte Baumaterial.
  3. Jede ausgesuchte Familie hatte sich verpflichtet 2 Tage in der Woche beim Aufbau und, unter der Aufsicht eines Baumeisters,  mitzuhelfen: Bereitstellung des Baumaterials, erste Aushübe etc.
    Die feindlichen Auseinandersetzungen der letzten 50 Jahre zwischen den Guerrillagruppen und der kolumbianischen Regierung haben rund 250’000 Todesopfer und mehr oder weniger 8 Millionen  Flüchtlinge gefordert. Diese Menschen mussten ihre angestammten Wohnorte wegen dem Krieg fluchtartig verlassen und in grösseren Städten Zuflucht suchen.
beim Aufbau des Heimes
  1. Unsere Stiftung leitete die Aufbauarbeit und sorgte so dafür, dass die rund 120 Häuser in der geplanten Zeit fertiggestellt wurden.
die Frauen und Mütter beim Vorbereiten des Mittagessen

Meistens, nach mehr oder weniger 6 Monaten, konnten wir unter Teilnahme des Stadtpräsidenten, des Ortsbischofs und den Verantwortlichen unserer Stiftung den Familien den Schlüssel zu ihrem Haus übergeben. Immer ein grosses Fest mit viel Freude und Tränen, denn nach jahrelangen Entbehrungen konnten diese Menschen schlussendlich in ihr eigenes Häuschen einziehen.

Übergabe der Häuser mit Bischof und Stadtpräsidenten. Begrüssung durch Richard Aufdereggen

Auf diese Weise konnten wir in den drei grossen Städten knapp 400 Familien ihr Heim übergeben: Cartagena, Sincelejo und Montería, alle in der Karibikküste Kolumbiens.

In Bogotá selbst bauten wir in all diesen Jahren keine neuen Viertel auf, vielmehr verbesserten wir eine grosse Zahl von Elendshütten wo vertriebene Familien  hausten. Das Vorgehen unterschied sich kaum vom vorher Beschriebenen: mit Hilfsgelder aus der Schweiz kauften wir die notwendigen Baumaterialien und bezahlten einen Baumeister. Die Familien halfen beim Aufbau mit. Auf diese Weise konnten wir in etwa 25 Jahren rund 150 Familien ihr Eigenheim verbessern.

das fertige Haus

Kinderdrama in Kolumbien

Eine Riesenaufgabe für unsere kleine Stiftung

Die Zahlen sind überwältigend: nach dem neuesten Bericht der Weltorganisation Save the Children ist Kolumbien, nach Venezuela, das zweite Land auf der Welt, wo die meisten Kinder misshandelt oder ermordet werden. 20 von 100´000 werden hier schändlich umgebracht, während die gleiche Messung in der Schweiz z.B. auf 0.6 kommt. Eine Riesenschande für ein Land – oder Kontinent – wo sich fast alle Menschen zum christlichen Glauben bekennen – oder dies zum mindesten  so behaupten. Zwischen Januar und Mai 2019 konnten 213 Kinder in diesem Lande nicht mehr studieren, spielen oder von ihrer Zukunft träumen. Sie wurden ermordet!! Dazu kommt, dass viele Kinder missbraucht werden: nach Meldungen der hiesigen Behörden sind es 2 Minderjährige jede Stunde. Eine weitere Schande ist die Vergewaltigung von minderjährigen Mädchen: im Jahre 2018 wurden 5’713 Mädchen zwischen 10 und 13 Jahren vergewaltigt und  geschwängert.

Warum ist dem so??  Hier einige Gründe:

Seit 50 Jahren hat Kolumbien  im Banne der Gewalt gelebt: mehrere Guerrillagruppen versuchten die Staatsgewalt zu untermauern und selber, mit marxistischen Staatsvorstellungen, an die Macht zu kommen. Dies hat in all diesen Jahren rund 250’000 Todesopfer gefordert. Unter diesen Toten hat es natürlich eine grosse Reihe von Kindern und Minderjährigen gegeben. Auf diese Weise ist der Zugriff zur Gewalt  geblieben, vor allem den Kindern gegenüber. ”Wer nicht hören will, muss fühlen”, oder “in einer Hand das Brot, in der anderen der Stock”, etc…

Ein weiterer Grund ist sicher die enorme Armut weiter Schichten der kolumbianischen Bevölkerung. Diese stieg gerade durch den langen Krieg gewaltig an: man rechnet heute mit rund 8 Millionen Menschen, die ihren angestammten Lebensraum verlassen und fliehen mussten und in den grossen Städten ein bisschen Sicherheit suchten. Und gerade hier, wie fast immer, sind die Kinder die Leidtragenden: sie werden geschlagen, misshandelt und sogar umgebracht, wenn sie ihre Rechte fordern.

Aber auch der weitverbreitete Anbau und die Herstellung von Kokain macht vor den Kindern nicht Halt. Sie werden  gezwungen mitzuhelfen bei diesem ganzen Prozess und viele von ihnen werden dann selber noch süchtig.

Andere, früh von ihren Eltern verlassen,  vor allem von den Vätern, müssen sich  bald um ihr eigenes Leben kümmern. Wenn sie dabei keine Unterstützung von aussen erhalten, landen die allermeisten im Elend und in der Gewalt. Gewalt, die sie selber ertragen müssen oder aber an anderen ausüben, wie wir dies tausendfach in diesen Jahren beobachten konnten

Unsere Aufgabe mit den Kindern in den letzten 30 Jahren

Nach Angaben der Leiter-Innen verschiedener Kinderprojekte unserer Stiftung konnten wir in all diesen Jahren rund 50’000 Kinder betreuen. Die allermeisten in den ärmsten Gebieten des Landes, vor allem in den Grossstädten; in erster Linie Bogotá. Dabei konnten wir auf fogende Weise in der Verbesserung der Lebensverhältnisse dieser Kinder einwirken:

Unsere Mitarbeiter-innen besuchen diese bitterarmen Familien, oder was von ihnen übrig geblieben ist. Dabei geht es immer in erster Linie um die Kinder: ihre Umgebung, die Ernährung, die Erziehung, die Gesundheit etc. Von diesen Besuchen werden immer Statistiken erstellt um dann ein Hilfsprogramm zu erstellen.

Ein weiterer Schritt ist die Errichtung von Kinderhorten, wo die notleidenden Kinder gesammelt, mit Liebe und Verständnis aufgenommen, die für ihren jeweiligen Zustand notwendigen Nahrungsmittel erhalten und  auf ihren Gesundheitszustand geprüft und so, nach den geltenden Menschenrechten, behandelt und erzogen werden.

Von enormer Wichtigkeit ist die Einbeziehung der Eltern, meistens der Mutter. Immer im Dialog werden die wichtigsten Themen behandelt: die Verantwortung der Eltern, die wirtschaftliche Situation und ihre Konsequenzen, die möglichen Wege finden um den Kindern eine bessere Zukunft zu bieten etc.

Diese, so beschriebene Arbeit mit Kindern kann natürlich nicht von unserer Stiftung allein bewerkstelligt werden. So suchen wir immer (und finden auch) staatliche Organisationen, Quartiervereine, Elterngruppen etc., die eng mit uns die vorgegebenen Ziele zu erreichen suchen.

Dabei muss vo rallem von den Frauen und Müttern (auch Männer, aber weniger) gesprochen werden, die wir in diesen Erziehungs- und Verbesserungsprozess einschalten und ausbilden. Diese sind dann immer, auf autonome Weise, zuständig, dass die Prozesse weitergeführt werden, wenn wir uns schrittweise zurückziehen. Doch in den allermeisten Fällen begleitet unsere Stiftung diese Arbeit auf Jahre hinaus, nicht mehr finanziell, doch immer mit Besuchen, Treffen und Ratschlägen.

Einleitung: 30 Jahre Stiftung Apoyar

Kurz nach meiner Entführung  im Jahre 1988 entschlossen wir uns eine neue Stiftung zu gründen. Nach reiflichen Überlegungen und in Anbetracht der bis dahin gemachten Erfahrungen in der Sozialarbeit kamen meine Frau Ana Dilia und ich mit einigen weiteren Sozialarbeitern zu diesem Entscheid.

Die bisher erzielten Resultate lassen sich sehen: sei es mit Kleinkindern, Jugendlichen, Frauen oder Bauernfamilien = vor allem mit  Menschen, die wegen der andauernden Gewalt fliehen mussten. Auf diese Weise konnten wir immerhin rund 280’000 Menschen auf ihrem nicht leichten Weg etwas unterstützen, “apoyar”.

In meinem Blog möchte ich nun monatlich mit einem Beitrag von dieser Arbeit berichten.

Mir ist klar, dass unser Bemühen in diesen 30 Jahren eigentlich nur ein Tropfen  im Meer ist, wie Mutter Teresa von Kalkuta von ihrer Arbeit sagte, “doch wenn er nicht dort wäre, würde er fehlen”.

Kolumbien – Weltmeister in der Kokainproduktion (der Einsatz von Glyphosat)

Als ich vor 49 Jahren nach Kolumbien kam und und meine soziale und pastorale Aufbauarbeit in einem sehr armen und ländlichen Gebiet begann, kam ich bald mit dem Kokablatt in Kontakt. Viele Kleinbauern begleiteten die harte Arbeit auf dem Lande mit dem “Kauen oder Lutschen” des Kokablattes. Dies gab ihnen zusätzlichen Ansporn zur Arbeit und liess sie oft die gewohnten Mahlzeiten vergessen. Doch nie sah ich in dieser Umgebung das aus diesem Blatt gewonnene Kokain; dies wurde später erarbeitet und exportiert. Und damit begann ein Riesengeschäft, das Kolumbien nicht nur Unmengen von Geld, sondern vor allem Krankheit, Korruption und, für viele Menschen, den Tod brachte.

Der wohl bekannteste Vertreter dieser Kokainverbrecher war Pablo Escobar: er baute eine enorme kriminelle Organisation auf, die nicht nur Hunderte von Tonnen Kokain exportierte, sondern auch Tausende von Menschen umbrachte. Aber auch nach seinem Tod ging das Geschäft weiter, denn es ist so rentabel, dass man kaum ein baldiges Ende vermuten kann. Ein kg Kokain im kolumbianischen Urwald kostet rund USD 1300.-, die gleiche Menge in den USA kostet um die USD 27´000, in Europa kann dies bis zu USD 53´000 steigen.

Nicht mehr Kaffee sondern Kokain

Kolumbien ist eines der wichtigsten Kaffeeproduzenten der Welt (nach Brasilien), dies schon seit der Kolonialzeit. Hier leben immer noch (schlecht und recht) rund 600´000 Familien von diesem landwirtschaftlichen Produkt, also ein wichtiger Teil der hiesigen Bevölkerung. Doch man lebte zufrieden mit dem Kaffee. Ich konnte selber Zeuge sein davon: wo Kaffee angebaut wurde gab es Schulen, Spitäler, gute Strassen etc. Aber dieses Glück dauerte bis 1989 als der, bis dahin gültige, internationale Kaffeepakt aufgehoben wurde. Dieses Kaffeeabkommen definierte den jährlichen Weltverbrauch und verteilte die erforderten Tonnen Kaffe auf die Produktionsländer. Doch mit diesem Entscheid einiger, nördlicher, Regierungen (vorallem der USA) war der Kaffeesegen für die vielen Bauern vorbei. Und so wechselten viele Familien vom Kaffee zum Kokain, denn die Preise waren unendlich viel besser. (nach neuen Schweizer Pressemeldungen erhält der kolumbianische Kaffeebauer heute noch etwa 3% des Kaffeepreises, den man in Zürich bezahlt). So sagte mir kürzlich eine Landfrau, die ich seit vielen Jahren kenne: “wenn ich meine Kinder eingermassen ernähren will, geht dies nur über die Kokaproduktion!”

Aufstieg der Kokainproduktion

In den letzten 15 – 20 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Fläche zum Kokainanbau vervielfacht. Heute, 2019, rechnet man hier mit rund 200´000 Hektaren Koka. Im letzten Jahre wurden rund 1’400 Tonnen kolumbiansichen Kokains auf dem Weltmarkt umgesetzt, vor allem in den USA. Was dies alles an illegalem Geldtransfer, Korruption, Gefängnisstrafen und sogar Toten beinhaltet, kann man sich kaum vorstellen.
Und so begannen hier in den letzten Jahren die nie endenden Diskussionen über die Bekämpfung der Kokainproduktion und dessen Handel. Dies natürlich vor allem auf Drängen der nordamerikanischen Regierungen, die eigenartigerweise früher nicht mit einem anständigen Kaffeepreis einverstanden waren und deswegen die Kokainproduktion ungemein antrieben.

Der Einsatz von Glyphosat

Eines der bisher eingesetzten Bekämpfungsmittel ist eben das vom nordamerikanischen Chemieriesen Monsanto (im Besitz heute von Bayer) hergestellte Glyphosat. In den vergangenen Jahren wurden hier jährlich Tausende von Hektaren Kokapflanzungen bespritzt. Doch dieser Einsatz war schon immer sehr umstritten. Von Kleinflugzeugen wurden täglich die Kokastauden überflogen und berieselt. Doch dieses Gift tötete nicht nur die Kokapflanzen; alle übrigen landwirtschaftlichen Produkte gingen ebenfalls verloren. Weiter wurden massenweise Wasserquellen vergiftet. Aber das Schlimmste war und ist der Schaden am Menschen. Obwohl als Giftstoff, der dem Menschen schadet, noch umstritten, ist man sich hier einig, dass das Glyphosat die Gesundheit des Menschen angreift. (Die internationale Agentur für Krebsforschung hat schon vor längerer Zeit berichtet, dass das Glyphosat “wahrscheinlich krebserregend” ist). Es kam hier zu richtigen Aufständen der betroffenen Menschen gegen dieses Gift, bis schliesslich das oberste Verfassungsgericht Kolumbiens dessen Einsatz verbot. Aber nun, mit dem neuen, konservativen, kolumbianischen Präsidenten Ivan Duque, möchte die Regierung erneut aufs Glyphosat zurückgreifen. Hier geht es natürlich in erster Linie um einen Gefallen dem allmächtigen Donald Trump gegenüber, der bereit ist, der hiesigen Regierung Millionenbeträge zu bezahlen, wenn nur dieses Gift fleissig kleine Bauerngüter berieselt. Was dabei den Kleinbauern geschieht interessiert in Washington niemand.
Dabei fragt sich kaum jemand in den USA oder Europa ob man vielleicht andere Methoden anwenden könnte, wie zum Beispiel einen gerechten Preis für die Kaffee- oder Kakaoernte bezahlen. Ich bin absolut sicher, dass die meisten Bauern sich wieder den legalen Produkten zuwenden, wenn sie nur damit ihre Familien ernähren können.

Ein ungemein steiler Weg…

zum Friedensprozess in Kolumbien

Nach 53 Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen und rund 250’000 Toten wurde schliesslich 2017 ein Friedenspakt unterschrieben. Dank dem entschiedenen Eintreten des früheren Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Juan Manuel Santos und nach 4 Jahren intensiver Diskussion in Kuba entschieden sich die rund 7’000 Guerilleros der Gruppe FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) ihre Waffen abzugeben und auf weitere kriegerische Handlungen zu verzichten.

Von einer grossen Liste dieser Verhandlungsergebnissen möchte ich nur einige wenige nennen:

  • Die an diesem langen Konflikt beteiligten Parteien (Guerrilla, Paramilitärs und ordentliches Heer) und ihre Verbrechen sollen von einer speziell geschaffenen Friedensjustiz angehört und gerichtet werden.
  • Eine so notwendige und immer wieder verschobene Landreform soll endlich durchgeführt werden. Dies in einem Land mit 1´200’000 Hkt. Land, wo nur 2% der Bevölkerung rund 60% des bebaubaren Bodens besitzt!!
  • Die Guerrilleros sollen sich in eine politische Partei verwandeln können und haben das Anrecht auf Vertretung im kolumbianischen Parlament.
  • Der Staat fördert die Wiedereingliederung der früheren Guerilleros ins Berufsleben mit Studienangeboten und Krediten. 
Der Friedensabschluss:
der kolumbianische Präsident, Staatschef Casto von Kuba und ein Guerillachef

Ich möchte mich heute speziell mit dem ersten Punkt befassen, der Friedensjustiz (JEP, Justicia Especial para la Paz), weil gerade die Umsetzung dieser Norm viel Schweiss und Anstrengung fordert.

  • Bei der Friedensjustiz handelt es sich um eine für diesen Friedenspakt geschaffene Gerichtseinheit. Sie handelt unabhängig von der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Richter werden nur für diese spezifische Aufgabe ernannt.
  • Die JEP soll alle Verbrechen richten, die mit dem 53-jährigen Konflikt zu tun haben. Personen, die bereits von der ordentlichen Justiz für ihre Kriegsverbrechen verurteilt wurden, haben das Anrecht sich erneut dieser neuen Justizinstanz zu stellen. Somit wird das ausgesprochene Urteil revidiert.
  • Alle Kriegsakteure, die eines oder mehrerer Verbrechen schuldig sind, können vor die Richter der JEP gehen. Also: Guerrilleros, Soldaten und Offiziere und paramilitärische Einheiten. Sie sollen alle mit dem gleichen Massstab gerichtet werden. Übrigens weiss man heute, dass 60% der Gewalttaten von den Militärs und paramilitärischen Gruppen begangen wurden. Die Guerilla muss für die restlichen 40% gerade stehen.
  • Der wichtigste Punkt dieses Verfahrens ist die Wahrheit. Wer in den Genuss dieser Art Urteile kommen will, muss vor dem Richter die gesamte Wahrheit sagen. Wer dies wirklich tut, kann mit einem Schuldspruch von 3 -8 Jahren Gefängnis rechnen, dies hängt natürlich vom begangenen Verbrechen ab. Trotzdem muss die für schuldig gefundene Person nicht ins Gefängnis, sondern kann diese Zeit mit einem Sozialdienst abbüssen.
  • Wer die wahren Ereignisse nicht aussagt oder über seine Verbrechen schweigt, muss mit 3 – 8 Jahren Gefängnis rechnen und diese auch in einem ordentlichen Gefängnis abbüssen. 

Soweit, so gut!

Das eigentliche Drama beginnt erst dann, wenn sich in diesen Gerichtsverhandlungen sowohl Konflikt beteiligte sowie Opfer gegenüberstehen. In den letzten Wochen und Monaten konnte ich am Fernsehen viele solcher Treffen verfolgen. Die Aussagen, Zeugnisse und Haltungen zeigen immer noch einen tiefen Graben. Da sitzen weinende Mütter, die einen oder mehrere Söhne oder Töchter im Krieg verloren haben vor den schuldigen Schergen: da hohe Offiziere und auch die Regierung einen enormen Druck auf die Truppen ausübten, damit diese Resultate vorzeige, wurden arme und junge Menschen aus den Armenviertel entführt und dann erschossen. Diese wurden anschliessend als im Gefecht erledigte Guerilleros aufgeführt. Man rechnet heute mit rund 2’500 solcher “falsos positivos” (falsche Erfolgsmeldungen an der Front); arme und unschuldige Opfer.

Ein Bauernopfer vor den Richtern
Ein Bauernopfer vor den Richtern

Oder da eine bekannte Persönlichkeit der Politik oder ein ehemaliger General, die von den Farc-Rebellen entführt und jahrelang unter unmenschlichen Verhältnissen festgehalten wurden. Oft erzählen diese unter Tränen wie sie schlimmer als Tiere behandelt wurden: wochenlang an Bäume angekettet.

Ingrid Betancur, entführt während 7 Jahren, zusammen mit der Präsidentin des neuen Gerichtes

Da ich selber auch von der Guerrilla entführt wurde, (1988) werde ich vielleicht auch zu solchen Verhandlungen eingeladen. Dann muss ich meine Entführer wieder treffen und werde an diese schrecklichen Tage erinnert. Dies wird sicher nicht leicht sein, obwohl ich diese Zeit bereits überwinden konnte und den involvierten Guerilleros verziehen habe.

Dieser so ausgehandelte Friedensprozess ist ein steiler Weg, doch ist er sicher notwendig, wenn die kolumbianische Gesellschaft wieder friedliche Tage erleben will.

Kriegstrommeln!!

die letzten Erreignisse in und um Venezuelasprechen von Kriegseinsatz

Seit meinem letzten Bericht über die Lage in Venezuela ist es dort noch schlimmer geworden. Der Strom der Menschen, die täglich über die Grenze nach Kolumbien kommen, hat nicht abgenommen sondern zeitweise sogar zugenommen. Man rechnet inzwischen mit rund 1’200’000 venezolanischen Bürgern in unserem Land. Bis in den kleinsten Weilern kann man sie antreffen: ausgehungert, schlecht gekleidet, krank.

Um etwas Geld zu verdienen müssen sie sich zu Sklavenbedingungen anbieten, ohne jegliche soziale Sicherheit, wie Krankenkasse, Pension, Erziehung. Andere tragen oft stundenlang Eisenteile auf dem Rücken über die Grenze und erhalten knapp 20 Rappen pro Kilo Eisen. Mit dem Verdienten Geldkaufen sie Lebensmittel und Medikamente. Viele junge, hübsche, Venezolanerinnen müssen ihren Körper verkaufen um überhaupt etwas Esswaren für ihre Kinder zu bekommen. Gerade diese Situation hat sich dermassen zugespitzt, dass in einigen Städten Kolumbiens die hiesigen Sexarbeiterinnen streiken, weil ihre venezolanische Konkurrenz viel billigere Angebote macht!!

Dazu kommt ein weiteres, furchtbares Problem: tausende von venezolanischen Müttern kommen schwanger nach Kolumbien und das Kind kommt hier auf die Welt. Da die Mutter meistens keine Papiere (Pass) besitzt sind die Neugeborenen automatisch staatenlos. Bereits soll es schon 8’000 solcher Kinder in Kolumbien geben.

Die kolumbianische Regierung, die katholische Kirche, verschiedene Nicht-Regierungs-Organisationen etc. haben vieles unternommen, um diesen Flüchtlingen zu helfen. Schliesslich lebten in den 80er und 90ger Jahren auch rund 5 Millionen Kolumbianer in Venezuela, da es dort Arbeit und Verdienst gab. Doch der gute Wille übersteigt bei weitem das enorme Problem. Gerade bei den momentanen Budgetverhandlungen für 2019  im kolumbianischen Parlament hat es sich eindeutig gezeigt, dass es schlicht unmöglich ist, diese Menschenmasse so aufzunehmen, wie man es sich wünschte, vor allem was Erziehung und Gesundheit angeht.

Auch wir in der Stiftung Apoyar haben Kinder von venezolanischen Eltern in den Kindergärten aufgenommen und betreuen sie, so gut es geht. Aber dies ist sicher nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Sollte die Emigrationswelle in dieser Intensität weitergehen, rechnet man hier bis zu 4 Millionen Menschen aus dem Nachbarland in den kommenden 3 Jahren.

Zudem muss gesagt werden, dass nicht alle Inmigranten in Kolumbien bleiben wollen: Tausende reisen (zu Fuss) weiter nach Ekuador und Perú. Auch Brasilien scheint von grosser Anziehungskraft zu sein. Bereits ist es dort zu Ausschreitungen gegen die Flüchtlinge  gekommen.

Venezuela, das Land mit den grössten Erdölvorkommen der Welt!

Die linken Regierungen in Caracas haben mit dem Reichtum des Landes Schindluder getrieben. Die Wirtschaft ist am Boden, die Inflation erreicht dieses Jahr 400’000%.

DieWarenhäuser sind leer, täglich sehen wir hier im Fernsehen die Warenregale  –  fastnichts ist zu haben..

Auch die medizinische Versorgung ist mehr als kläglich, die meisten Medikamente sind schlichtweg nicht zu erhalten.  Schon deswegen kommen, zu Fuss, täglich rund 60’000 hungernde und kranke Venezolaner nach Kolumbien um Esswaren und Medikamente zu kaufen.

Und in Caracas sitzt der stolze Präsident Nicolás Maduro und beschimpft die Flüchtlinge als Verräter. Anfängliche Aufstände brachten 400 Tote und noch mehr Regimekritiker im Gefängnis. Wer nicht dort landen wollte, flüchtete ins Ausland. Alle Gegner werden mundtot gemacht. Dabei sitzt die führende Schicht in Caracas auf Goldminen. Man weiss inzwischen, dass viele dieser Regime-Treuen Millionenschwere Konti im Ausland besitzen. So wurde kürzlich dem 2. Mann in der Regierung, Diosdado Cabello, in den USA ein 20-Millionen USDollar-Flugzeug konfisziert.

Was nun tun???

Nicht nur in Kolumbien, auch in Ekuador, Perú und Brasilien ist man  verzweifelt und weiss nicht mehr wo ein und aus. Donald Trump spricht schon seit Wochen: alle Optionen sind offen, natürlich auch die militärische. Auch die Aussagen der Leiter der Organisation amerikanischer Staaten gehen in diese Richtung. Sogar führende kolumbianische Politiker liessen sich für eine bewaffnete Intervention erweichen.

Doch es handelt sich hier um eine äusserst gefährliche Entscheidung, nicht zuletzt für Kolumbien. Venezuela und Kolumbien haben eine gemeinsame Grenze von rund 2100 km. Aber was noch schlimmer ist: Venezuela ist bis auf die Zähne bewaffnet. Chavez kaufte noch in seinen Amtsjahren für viele Milliarden US-Dollar Waffen ein, vor allem in Russland. So hat Kolumbien dem bewaffneten Venezuela kaum mehr als Steinschleuder entgegenzusetzen.

Einführung – Helfen macht froh!!

Richard Aufdereggen, 1968

Wenn ich jetzt, 2017, nach 76 Altersjahren, auf mein  Leben zurückblicke, begleiten mich gute Gefühle: es hat sich gelohnt! Ich habe den richtigen Weg eingeschlagen. In den nun 47 Jahren in Südamerika konnten wir – ich und meine Mitarbeiter, vor allem mit meiner Frau Ana Dilia – Tausende von Kindern, Jugendlichen, Frauen, Bauern  und ihren Familien ein Stück Weges begleiten und unterstützen (apoyar),um ihr Leben zu verbessern. (Wir haben vor kurzem versucht eine Liste der an unseren Projekten beteiligten Menschen zusammenzustellen, wir kamen auf etwas mehr als 250’000 in 30 Jahren!!) Aber auch unser Leben hat sich verbessert!  Immer wenn ich ein von uns durchgeführtes Entwicklungsprojekt besuche und frohe und lachende Kinder antreffe, wenn ich mit Bauern zusammenkomme, die mir stolz ihre verbesserten, ohne Chemie produzierten, Produkte zeigen, ist es für mich ein weiterer Beweis: es hat sich gelohnt!

Wenn ich einer, vom kolumbianischen Konflikt, vertriebenen Familie nach Jahren von Armut und Entbehrung, schlussendlich den Schlüssel zu einem neuen Eigenheim übergeben kann, ist dies fast ein sakraler Moment. Zusammen – Gemeindeverwaltungen, Familien und unsere Stiftung Apoyar – konnten wir in drei grossen Städten Kolumbiens rund 450 Familien in den letzten 25 Jahren diesen Eigentumstitel übergeben. Welche Freude für Menschen, die jahrelang in miserablen Unterständen überleben mussten!

Dabei hätte es ganz anders sein können. Nachdem ich als junger, 16-jähriger, Bursche aus Obergesteln VS mich entschied, im Kollegium in Brig, das Handelsdiplom bzw. die Handelsmatura  zu machen, hatte ich viele Wege in die Zukunft offen. Da war z.B. die Handelshochschule  in St. Gallen. Nach einem Wirtschaftsstudium dort wäre mir der Weg in die weltbekannte Schweizer Bank sicher offen gestanden. Die finanziellen Vorteile einer solchen Karriere lagen auf der Hand, vor allem in den 60-und 70-ziger Jahren. Unsere 50 Jahre Handelsmaturafeier 2013 bewies dies: einige meiner Matura-Kollegen gingen diesen Weg  und sie konnten Riesenerfolge feiern, zumindest finanzielle. Mit der Erziehung seitens meiner Mutter Bertha  und meines Vaters Julius  habe ich keinen Zweifel, dass ich mich auch in diesem Umfeld mit Erfolg hätte behaupten können.

Diese Hände von Mutter Bertha und Vater Julius zeigten mir – uns – den Weg ins Leben

Doch mich begleiteten immer andere Sorgen. Schon im Kollegium trafen wir uns in  kleinen Gruppen und diskutierten über die miessliche Situation in der Welt. Während einige wenige zuviel besassen, leideten zu viele an extremer Armut. Die Ungerechtigkeit nagte an mir schon damals wie ein Wurm, der mich nicht mehr los liess. Immer mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach vom grossen, finanziellen,  eidgenössischen  Kuchen essen  sollte, sondern mein Wissen und meine Anstrengungen für eine  gerechtere Welt einsetzen sollte.

Zugleich sinnte ich auch über die Möglichkeiten, die ich hatte, um diesen Weg zu gehen. Im Vordergrund stand dabei die katholische Kirche, in aller Welt präsent und auch engagiert mit der damaligen neuen Welle des II Vatikanischen Konzils und der neuen  Befreiungstheologie (siehe dieses Kapitel). Zudem war ich schon damals beeindruckt von der christlichen Lehre der Gleichheit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.

Noch während meines Theologiestudiums im Priesterseminar in Sitten, VS, schaute ich mich ein bisschen um. Eine katholische Institution fiel mir gleich auf: die Immenseer Missionare. Anschliessende Gespräche mit dem damaligen Generaloberen Josef Amstutz und dem Generalsekretär Crottogini bestätigten mich enorm. Es ging ihnen nicht nur um  Glaubensverkündigung, wie es die spanischen Missionare während Jahrhunderten in Südamerika taten; die Immenseer Richtung war eine ganzheitliche Antwort auf die Notwendigkeiten des Menschen, vor allem die der Dritten Welt. Die Mission sollte den ganzen Menschen umfassen: sowohl sein geistliches wie menschliches Wohl. Und dies entsprach auch meiner Sicht dieser grossartigen Aufgabe.

So bat ich gleich nach der Priesterweihe meinen Bischof Nestor Adam, mich der Gruppe Immensee anzuschliessen, mindestens auf Zeit. Bald darauf (1969) schloss ich mit den Immenseern einen Vertrag für 3 Jahre; der erste Missionar auf Zeit!  Nach einer gründlichen Vorbereitung meinerseits  in der Schweiz und Deutschland (München) wurden wir schlussendlich zu einem interdisziplinären Team zusammengeschlossen: eine Krankenschwester (Rös Würms, die vorher in Haití gearbeitet und eine riesengrosse Erfahrung sammeln konnte), eine Sozialarbeiterin (Margrit Meier, die in Brasilien tätig war), ein Agronom (Mathias Sticher) und ich als Theologe. Ich kam im Juni 1970 nach Kolumbien, meine Teamkollegen waren bereits hier.

Nun bereiteten  wir uns auf die bevorstehende Aufgabe vor: ein erster und wichtiger Schritt war die Gruppenintegration. Mit Hilfe von Spezialisten versuchten wir einander zu kennen, zu schätzen und eine gemeinsame Arbeitsformel zu finden. Das war nicht leicht, hatten doch die beiden Damen bereits jahrelange Südamerikaerfahrung, uns Männern ging dies ab. Doch die Bereitschaft Neues zu lernen, erleichterte die Aufgabe.

Andrerseits suchten wir gemeinsame Arbeitsformeln, vor allem pädagogische und  soziale. In pädagogischen Aspekten liessen wir uns leiten von den Vorschlägen des brasilianischen Erziehers Paulo Freire (siehe Kapitel darüber!).  Was uns alle auch leitete war ein tiefer christlicher Glaube. Und hier wiederum nahmen die Ideen der damals in Südamerika überall  präsenten Befreiungstheologie einen wichtigen Platz ein.

Nach dieser gründlichen Vorbereitung bat man uns, im kleinen Dörfchen Leiva (im Dept. Nariño, angrenzend an Ekuador) die Arbeit aufzunehmen. Es gab damals kaum ein anderes Dorf in Kolumbien, dass derart abseits von der Welt sein Dasein fristete: nur die Reise ins Dorf erforderte von der Strasse einen 6-stündigen Ritt und das Überqueren eines gewaltigen Flusses, (Patía)  der in den Pazifik mündet.

Leiva, Nariño

Abgesehen vom Fehlen der Strasse gab es in Leiva kein elektrisches Licht, keine Trinkwasserversorgung, keine medizinische Betreuung und das Erziehungsangebot war mehr als arm. Damals zählte das Dorf rund 12´000 Einwohner, verteilt auf den Dorfkern und rund 35 Weiler. Bis in den letzten Weiler benötigte ich 2 volle Reittage auf einem Maultier, weil Pferde ohnehin in den reissenden Bächen zu Tode stürzen konnten. Wo sollten wir in einer solchen Situation beginnen? Die Antwort war nicht leicht zu finden. Doch nach einer ersten Kontaktnahme mit den Leuten, einem ersten Erstellen von Inventaren und unter Annahme von bisher gemachten Erfahrungen, entschieden wir uns zu folgenden Schritten: jeder sollte auf seinem Gebiet Leute ausbilden, die das angeeignete Wissen daraufhin weitergeben konnten. Bei mir ging es um Katecheten (siehe Kapitel meine 25 Apostel), bei der Krankenschwester um  junge Gehilfinnen, beim Agronomen um interessierte Bauern etc.

In den folgenden Seiten dieses Blogs möchte ich nun auf diese und folgende Sozialarbeiten hinweisen. Mit ganz kleinen Unterbrechungen konnte ich dies während rund 45 Jahren durchführen, einerseits in Kolumbien aber als Projektleiter auch in vielen anderen Ländern Zentral- und Südamerikas. Wenn ich heute zurückblicke muss ich trotz allem feststellen, dass meine Anstrengungen klein geblieben sind, vielleicht ein Tropfen im grossen Meer. Aber ich bin zum gleichen Schluss gekommen wie Mutter Teresa von Kalkutta: “es mag ein Tropfen im Meer sein, doch wenn er nicht dort wäre , würde er fehlen”!

Aber, wie ich anfäglich sagte, diese meine Lebensaufgabe, hat mir unendlich viel Freude bereitet, obwohl nicht immer alles eitel Sonnenschein war.

Darum möchte ich nun auch  Leute einladen einen solchen Lebensweg einzuschlagen, vor allem junge Menschen. Dies kann auch ein Einsatz von Monaten oder wenigen Jahren sein. Ich habe es in diesen Jahren oftmals erlebt, dass junge Schweizer nach einem kurzen Aufenthalt hier, in einem Armenviertel oder bei südamerikanischen Kleinbauern, mit einem erneuerten Weltbild zurück in die Schweiz reisen.

Bogotá, im November 2017

1. Kapitel: Ein erster Schock: meine Feuertaufe!

Anfangs 1971 kamen wir als Team nach Leiva. Wie schon gesagt, ein Dorf unendlich abseits der Welt, ohne Strasse , ohne Licht, ohne Trinkwasser: es fehlte an allem.

Für uns war bald einmal klar, dass die fehlende Strasse ein riesiges Hindernis für alle ist: Verkauf der Agrarprodukte, Ankauf und Heranschaffung der Lebensmittel, Krankheitsfälle, … etc. Was auf dem Maultier herangeschleppt werden muss, verteuert sich enorm. So entschieden wir uns für den normalen und respektvollen Weg: wir reisten mit den Kleinbauern in Gruppen in die Dept.s Hauptstadt Pasto um bei den zuständigen Behörden vorzusprechen. Doch dies war schneller gesagt als getan: die Reise hin dauerte 12 Stunden, mit dem Pferd und auf Naturstrassen. Ich selbst reiste mit kleinen Gruppen in drei Jahren 6 Mal nach Pasto: wir erreichten nichts, nur Versprechen und oft ein mitleidiges Lächeln. Bei einem solchen Besuch im Februar 1974 empfing uns der damalige Gouverneur. Nach einer Wartezeit von mehr als 2 Stunden wurden wir schliesslich in sein elegantes Büro gebeten. Dort brachten wir unsere Bitte vor: die Fertigstellung der Strasse nach Leiva (es fehlten nur noch etwa 10 Kilometer).  Schlussendlich versicherte uns dieser Depts.-Chef: im Monat Oktober habt ihr in Leiva die Strasse. Mir stiegen derart grosse Zweifel auf, dass ich ihn fragte, auf welches Jahr sich sein Versprechen beziehe; mir war Oktober nicht genug.  Es war ein Wunder, das er mich nicht aus seinem Büro vertrieb! Aber ich hatte Recht: im Oktober des gleichen Jahres hatten wir noch keine Strasse!

Gouverneurin des Depts. auf Besuch in Leiva mit Richard und Bauern, “viel Eleganz, weiter nichts!”

Doch dann trat plötzlich das ein, was das Mass voll machte. Es war an einem grauen Regentag  im Jahr 1975. Wir  wurden gerufen, weil eine Frau am Sterben lag. Was ich dann sah übersteigt alle Erzählkunst: an zwei dicken Bambusstangen hängend, inmitten von dort befestigten Leintüchern und Decken, traf ich eine junge Mutter. Sie war völlig erschöpft und lag in ihrem Blut und Erbrochenem. Für sie war die Zeit gekommen ihr Kind auf die Welt zu bringen, doch eine komplizierte Stellung des Kleinen ermöglichte keine normale Geburt. Ihr Mann und drei Freunde trugen sie von einem 5 Stunden entfernten Weiler ins Dorf; vielleicht könnte unsere Krankenschwester helfen. Doch dies war nicht möglich. Sie wurde zumindest gereinigt und erfrischt, dann ging der beschwehrliche Weg weiter. Um den nächstliegenden Spital zu erreichen sollte diese junge Mutter noch mindestens 6 Stunden aushalten.  Nach drei Stunden wurden wir informiert, dass die Frau mit ihrem Kinde nicht überlebte.

Meine Reaktion: eine ungeheure Wut auf diese ungerechte Situation und besonders auf die korrupten Politiker, denen das Leben der Armen egal ist. Ich konnte es nicht fassen, dass diese unschuldigen Wesen sterben mussten. Warum konnte dieses noch ungeborene Kind nicht das Licht der Welt erblicken? Wieso musste eine 20-jährige Frau sterben, nur weil es keine Strasse , um rasch ins Spital zu kommen? Aber es kam noch schlimmer: wochenlang sah ich immer wieder dieses Bild des Elends und der Hoffnungslosigkeit. Oft erwachte ich nachts und sah erneut die groteske Szene der verblutenden  Frau. Bis heute hat mich dieses menschenunwürdige Bild verfolgt.

Und da verstand ich plötzlich jene junge Menschen, die sich für den bewaffneten Widerstand entschieden. Eine Antwort auf diese unmenschliche Interessenlosigkeit der meisten Politiker kann auch der Griff zu den Waffen sein. “Wer nicht hören will muss fühlen”, so hat man uns schliesslich gelehrt.In diesen Jahren (1970-1980) gingen auch eine Reihe von katholischen Priestern zur bewaffneten Guerrilla. Erwähnen möchte ich den kolumbianischen Padre Camilo Torres, ein Bogotaner aus sehr reichen Verhältnissen. Er studierte Theologie in Bogotá und doktorierte anschliessend in Löwen (Belgien) in Soziologie. Nach seiner Rückkehr wurde er Kaplan der grossen Nationaluniversität (wo übrigens später meine Tochter Claudia Cristina Medizin studierte) und arbeitete entschlossen für Gerechtigkeit in Kolumbien.Wenn es darum ging Ausbeutung und unmenschliches Verhalten anzukreiden nahm er kein Blatt vor den Mund. Aber bald kam er in Konflikt mit dem Erzbischof von Bogotá weil sich mächtige Politiker bei ihm  beklagten und er wurde seines Amtes enthoben. Kurz darauf schloss er sich der Guerrillagruppe ELN an (nationale Befreiungsfront: die Gruppe, die mich später entführte!!) und wurde dann nach einem Jahr in einem Gefecht von dem Heer erschossen. Natürlich kannte er sich besser aus in Soziologie als mit Feuerwaffen!

Aber auch spanische Priester gingen diesen Weg, vielleicht hatten sie auch ähnliche Erlebnisse wie ich in Leiva. Ich weiss von Domingo Laín und Manuel Pérez, der jahrelange Chef des ELN. Für sie gab eine keine andere Wahl, nur den bewaffneten Widerstand.

Für mich kam diese Option nie in Frage. Schon von meinem Glauben her bin ich überzeugt, dass Gewalt nur zu mehr Gewalt führt. Blutvergiessen kann nicht der Weg  zur Veränderung sozialer Strukturen sein. Zudem sind die Opfer dieses Krieges immer die Armen; die Reichen senden ihre Söhne und Töchter nicht aufs  Schlachtfeld. Dies habe ich noch und noch in diesen letzten 47 Jahren gesehen. Von den rund 250’000 Toten des kolumbianischen Konfliktes (in 53 Jahren) kamen rund 95% aus den ärmsten Schichten, sei es seitens der Guerrilla oder des ordentlichen Heeres.

Aber ich war immer überzeugt, dass eine bewusstseinsbildende Arbeit (nach dem Vorbild des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire) eine grosse Einschlagskraft hat. Nur wenn sich der arme und oft ausgebeutete Mensch bewusst ist, dass er Würde, Rechte aber auch Pflichten hat, beginnt er sich zu wehren. Wir haben mit dieser Arbeitsmethode oft kleine Wunder erlebt: nach diesem bewusstseinsbildenden Prozess beginnen viele Menschen sich zu organisieren und ihre Rechte zu verlangen. Dadurch konnten wir sehr oft die von der spanischen Kolonialkirche gepredigte Annahme der Armut, weil gottgewollt (wie sie ihnen gepredigt wurde), überwinden und die Menschen zu neuen und gerechteren Dimensionen führen und so unterstützen (apoyar).

2.1 Kapitel: Bewusstseinsbildung

Eine der wichtigsten Teile unserer Vorbereitung als Team für die zukünftige Pastoral- und Sozialarbeit waren Kurse und Diskussionsrunden an der Jesuitenuniversität von Bogotá im Jahre 1970/71. In diesen Runden sprach man damals sehr oft von einem brasilianischen Pädagogen: Paulo Freire und seinen Grundzügen der “Pädagogik der Unterdrückten”. Wir entschieden uns, diesem Erziehungsvorschlag mehrere Wochen zu widmen. Professoren aus Brasilien, Kolumbien und Holland leiteten die Runden.

Diese Pädagogik Paulo Freires orientierte weitgehend unsere Arbeit in Leiva, dem Dorf im Süden Kolumbiens, wo wir von 1971 bis 1977 tätig waren. Aber diese Philosophie orientierte auch unser Bemühen in der später gegründeten Stiftung Apoyar. Aus diesem Grunde möchte ich ein bisschen näher darauf eingehen.

“die Erziehung verändert die Welt nicht; verändert aber die Menschen, welche die Welt verändern!”

Nach Freire ist die wahre Berufung des Menschen die Humanisierung. Da es Unterdrückung gibt, sind Unterdrücker und Unterdrückte enthumanisiert und von sich selbst entfremdet. Um die Unterdrückten zu befreien, entwickelte Freire seine Pädagogik und gibt zu, dass sie eine politische Dimension hat. “Erziehung kann niemals neutral sein. Entweder ist sie ein Instrument zur Befreiung des Menschen, oder sie ist ein Instrument seiner Domestizierung, seiner Abrichtung für die Unterdrückung”.

Dieses kritische Bewusstsein entwickelt sich nach Freire in den folgenden 3 Stufen:

  • Naives Bewusstsein: der Mensch sieht seine Situation als unveränderlich an. In dieser Bewusstseinsstufe ist der Mensch der Meinung, dass die Welt, so wie sie ist, von Gott gewollt ist. Dies wurde den Indianern in Mittel- und Südamerika während Jahrhunderten von den spanischen Missionaren so gepredigt (mit nur wenigen Ausnahmen.)
  •  Transitives Bewusstsein: durch den Dialog nehmen die Menschen ihre Lebenswelt und die damit verbundenen Widersprüche und ungerechten Situationen wahr.
  • Kritisches Bewusstsein: der Mensch nimmt die Missstände der Welt nicht nur wahr, er kann sie auch kritisch reflektieren. Er ist somit in der Lage, Lösungen für seine Probleme zu suchen und diese auch zu verwirklichen.

Das Durchlaufen dieser verschiedenen Stadien nennt Freire “conscientización”, Bewusstseinsbildungsprozess. Freire definiert damit den Lehrgang, der nötig ist, um soziale, politische und wirtschaftliche Widersprüche zu begreifen und um Massnahmen gegen die unterdrückerischen Verhältnisse der Wirklichkeit zu ergreifen.
Aus diesem Grunde formuliert er die dialogische “problemformulierende Bildung” als Gegenpol zur vorherrschenden “Bankiersmethode”. Das Bankierkonzept geht davon aus, dass der Lehrer über alles Wissen verfügt, die Schüler dagegen kein Wissen haben und dass der Lehrer bei jedem Schüler quasi wie in einem Bankdepot Wissen anhäuft. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, den Schüler mit Wissen zu füllen, die Lebenswelt des Schülers, dessen Gedanken, Auffassungen und Bedürfnisse bleiben unberücksichtigt.

Wir als “Lehrerteam” wendeten immer diese neue, problemformulierende Weise an. Ob mit Kindern, Jugendlichen, Frauen oder Männern und Familien: immer setzen wir uns zum Dialog zusammen. Dies war und ist nicht immer leicht, die meisten armen Südamerikaner sind es nicht gewöhnt zu sprechen, zu formulieren. Sie haben bisher fast immer geschwiegen und zugehört, weil die sprechenden Personen mehr Kenntnisse haben! Und doch ist es nicht so; wir erlebten wahre Wunder. Plötzlich kamen die immer in der Runde sitzenden Personen aus sich heraus und formulierten ihre Gedanken und Bedürfnisse. Und nach fast 50 Jahren Erfahrung in dieser Arbeit muss ich sagen: diese Arbeitsmethode hat uns immer grosse Erfolge gebracht. Wir haben uns nie einer Gemeinschaft genähert mit bereits vorformulierten Projekten, wie ich es oft mit ausländischem Personal erfuhr: Damen und Herren aus Europa oder USA kamen in die Armenviertel und wussten bereits, was zu tun und zu verbessern war. Sie nahmen sich nicht die Zeit mit den involvierten Menschen zu reden. Die Erfolge solcher Projektarbeiten waren dann auch relativ arm.

Ausgehend von diesen Erfahrungen wendeten wir immer die für uns wichtigen 3 Säulen an: Teilnahme, Solidarität und Autonomie. (wesentliche Bestandteile der Arbeitsphilosophie der Stiftung Apoyar bis heute!)

Jede neue Projektarbeit wird immer im Dialog definiert. Daran nehmen die Leute in den Armenvierteln oder auf dem Land und die Mitarbeiter der Stiftung Apoyar teil. Die so erarbeiteten Verbesserungsideen werden in neuen Sozialprojekten formuliert, die anschliessend interessierten, staatlichen oder privaten, Organisationen zur Teilfinanzierung vorgelegt werden.

Eine zweite, äusserst wichtige, Säule ist die Solidarität. Vor allem im kolumbianischen Umfeld, wo wir in den letzten 30 Jahren immer mit vom Krieg vertriebenen Familien arbeiteten. Hier kamen Menschen zusammen, die von allen Ecken des riesigen Landes fliehen mussten: von der Karibik, vom Pazifik, vom Amazonasgebiet und auch vom Landesinneren. Meistens kamen sie in die Hauptstadt Bogotá oder andere Städte, wo sie sich ein bisschen sicherer fühlten. Neben der fürchterlichen Armut erschwerten soziale und, vor allem, kulturelle Verschiedenheiten die Gemeinschaftsarbeit. Der Erfolg der Arbeit hatte immer mit der erworbenen Solidarität zu tun. Nur wenn es ihnen, und auch uns, gelang, solidarische Beziehungen aufzubauen, hatten wir Erfolg. So benötigten wir immer auch eine Reihe von gut ausgebildeten Psychologen, die wesentlich mithalfen, neue Gemeinschaftsgruppen zu erstellen.

Und schlussendlich die Autonomie der Projekte. Jede Projektarbeit beinhaltet Gemeinschaftsorganisation, denn diese Aufgabe soll nicht nach einer gewissen Projektzeit enden. Ich möchte dies an 2 Beispielen aufzeigen:

  • In einem sehr armen und vernachlässigten Viertel in Bogotá von vertriebenen Familien wurden wir gebeten Kleinkinder zu betreuen, da sich bisher niemand um diese Kinder kümmerte. Nach den oben beschriebenen Arbeitssitzungen mit den Eltern begannen wir mit der Kinderbetreuung. Während den normalen 3 Jahren Dauer eines solchen Projektes wurde eine Elternorganisation aufgebaut, die, nach Ablauf der Projektdauer, die Leitung des Kinderhortes übernehmen sollten. Und dies ist uns in rund 90% der Fälle gelungen.
  • Die Landjugendheime (LJH) im Dept. Caldas. Mit der gleichen Methode konnten wir 5 solcher LJH aufbauen und den Bauernfamilien übergeben, und dies vor 20-25 Jahren. Die Bauer/innen überwachen und leiten die Heime und die Kinder können ihre Mittelschulstudien im grösseren Dorf abschliessen, denn dort wo sie leben gibt es diese nicht. Bisher hatten so rund 6500 Kinder die Möglichkeit zum Studium.

Es versteht sich, dass wir auch nach Übergabe eines Projektes weiterhin mit der Leitung in Kontakt bleiben. Sollte es zu Schwierigkeiten kommen, was ab und zu der Fall ist, stehen wir als Ratgeber zur Seite.

Der bewusstseinsbildende Prozess, von dem ich anfänglich sprach, hat sich bewährt!