Ein ungemein steiler Weg…

Ein grosser Enthusiasmus für den erreichten Frieden

zum Friedensprozess in Kolumbien

Nach 53 Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen und rund 250’000 Toten wurde schliesslich 2017 ein Friedenspakt unterschrieben. Dank dem entschiedenen Eintreten des früheren Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Juan Manuel Santos und nach 4 Jahren intensiver Diskussion in Kuba entschieden sich die rund 7’000 Guerilleros der Gruppe FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) ihre Waffen abzugeben und auf weitere kriegerische Handlungen zu verzichten.

Von einer grossen Liste dieser Verhandlungsergebnissen möchte ich nur einige wenige nennen:

  • Die an diesem langen Konflikt beteiligten Parteien (Guerrilla, Paramilitärs und ordentliches Heer) und ihre Verbrechen sollen von einer speziell geschaffenen Friedensjustiz angehört und gerichtet werden.
  • Eine so notwendige und immer wieder verschobene Landreform soll endlich durchgeführt werden. Dies in einem Land mit 1´200’000 Hkt. Land, wo nur 2% der Bevölkerung rund 60% des bebaubaren Bodens besitzt!!
  • Die Guerrilleros sollen sich in eine politische Partei verwandeln können und haben das Anrecht auf Vertretung im kolumbianischen Parlament.
  • Der Staat fördert die Wiedereingliederung der früheren Guerilleros ins Berufsleben mit Studienangeboten und Krediten. 
Der Friedensabschluss:
der kolumbianische Präsident, Staatschef Casto von Kuba und ein Guerillachef

Ich möchte mich heute speziell mit dem ersten Punkt befassen, der Friedensjustiz (JEP, Justicia Especial para la Paz), weil gerade die Umsetzung dieser Norm viel Schweiss und Anstrengung fordert.

  • Bei der Friedensjustiz handelt es sich um eine für diesen Friedenspakt geschaffene Gerichtseinheit. Sie handelt unabhängig von der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Richter werden nur für diese spezifische Aufgabe ernannt.
  • Die JEP soll alle Verbrechen richten, die mit dem 53-jährigen Konflikt zu tun haben. Personen, die bereits von der ordentlichen Justiz für ihre Kriegsverbrechen verurteilt wurden, haben das Anrecht sich erneut dieser neuen Justizinstanz zu stellen. Somit wird das ausgesprochene Urteil revidiert.
  • Alle Kriegsakteure, die eines oder mehrerer Verbrechen schuldig sind, können vor die Richter der JEP gehen. Also: Guerrilleros, Soldaten und Offiziere und paramilitärische Einheiten. Sie sollen alle mit dem gleichen Massstab gerichtet werden. Übrigens weiss man heute, dass 60% der Gewalttaten von den Militärs und paramilitärischen Gruppen begangen wurden. Die Guerilla muss für die restlichen 40% gerade stehen.
  • Der wichtigste Punkt dieses Verfahrens ist die Wahrheit. Wer in den Genuss dieser Art Urteile kommen will, muss vor dem Richter die gesamte Wahrheit sagen. Wer dies wirklich tut, kann mit einem Schuldspruch von 3 -8 Jahren Gefängnis rechnen, dies hängt natürlich vom begangenen Verbrechen ab. Trotzdem muss die für schuldig gefundene Person nicht ins Gefängnis, sondern kann diese Zeit mit einem Sozialdienst abbüssen.
  • Wer die wahren Ereignisse nicht aussagt oder über seine Verbrechen schweigt, muss mit 3 – 8 Jahren Gefängnis rechnen und diese auch in einem ordentlichen Gefängnis abbüssen. 

Soweit, so gut!

Das eigentliche Drama beginnt erst dann, wenn sich in diesen Gerichtsverhandlungen sowohl Konflikt beteiligte sowie Opfer gegenüberstehen. In den letzten Wochen und Monaten konnte ich am Fernsehen viele solcher Treffen verfolgen. Die Aussagen, Zeugnisse und Haltungen zeigen immer noch einen tiefen Graben. Da sitzen weinende Mütter, die einen oder mehrere Söhne oder Töchter im Krieg verloren haben vor den schuldigen Schergen: da hohe Offiziere und auch die Regierung einen enormen Druck auf die Truppen ausübten, damit diese Resultate vorzeige, wurden arme und junge Menschen aus den Armenviertel entführt und dann erschossen. Diese wurden anschliessend als im Gefecht erledigte Guerilleros aufgeführt. Man rechnet heute mit rund 2’500 solcher “falsos positivos” (falsche Erfolgsmeldungen an der Front); arme und unschuldige Opfer.

Ein Bauernopfer vor den Richtern
Ein Bauernopfer vor den Richtern

Oder da eine bekannte Persönlichkeit der Politik oder ein ehemaliger General, die von den Farc-Rebellen entführt und jahrelang unter unmenschlichen Verhältnissen festgehalten wurden. Oft erzählen diese unter Tränen wie sie schlimmer als Tiere behandelt wurden: wochenlang an Bäume angekettet.

Ingrid Betancur, entführt während 7 Jahren, zusammen mit der Präsidentin des neuen Gerichtes

Da ich selber auch von der Guerrilla entführt wurde, (1988) werde ich vielleicht auch zu solchen Verhandlungen eingeladen. Dann muss ich meine Entführer wieder treffen und werde an diese schrecklichen Tage erinnert. Dies wird sicher nicht leicht sein, obwohl ich diese Zeit bereits überwinden konnte und den involvierten Guerilleros verziehen habe.

Dieser so ausgehandelte Friedensprozess ist ein steiler Weg, doch ist er sicher notwendig, wenn die kolumbianische Gesellschaft wieder friedliche Tage erleben will.

Ein Gedanke zu „Ein ungemein steiler Weg…“

  1. Gewiss, diese Gerichtsprozesse zur Bewältigung der Vergangenheit sind schwierig, leidvoll und reissen wahrscheinlich viele alte Wunden auf. Nur: viel anspruchsvoller als die Bewältigung der Vergangenheit ist der Friedensprozess, wenn es darum geht, die Zukunft Kolumbiens politisch, sozial und ökonomisch zu gestalten. Die soziale Kluft ist nach wie vor sehr tief, die Spaltung in ‚los de arriba y los de abajo‘ noch immer prägend für das Land, Ohne einen gewissen sozialen Ausgleich, gerade auch mittels einer tiefgreifenden Landreform, lassen sich die Ursachen der jahrzehntelangen Gewalt nicht beseitigen. Gibt es Anzeichen, dass diese Reformen eine Chance haben?

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