Das so ersehnte Eigenheim

Die feindlichen Auseinandersetzungen der letzten 50 Jahre zwischen den Guerrillagruppen und der kolumbianischen Regierung haben rund 250’000 Todesopfer und mehr oder weniger 8 Millionen  Flüchtlinge gefordert. Diese Menschen mussten ihre angestammten Wohnorte wegen dem Krieg fluchtartig verlassen und in grösseren Städten Zuflucht suchen.

In den 30 Jahren unserer Sozialarbeit hat sich die Stiftung Apoyar vorallem diesen Menschen gewidmet: Kindern, Jugendlichen, Frauen und neue Eigenheime für diese Familien.

Das Elend, das wir in vielen grossen Städten antrafen ist nur schwer beschreibbar. Diese Familien, meistens Bauern, hatten ihre Einnahmen völlig verloren. Dazu wurden viele in der neuen Umgebung feindlich behandelt.

Mit der Unterstützung einer Hilfsorganisation in Genf, den örtlichen Gemeindeverwaltungen und der teilnehmenden Opfer konnten wir rund 400 Familien ein Eigenheim anbieten. Das Vorgehen war relativ einfach:

  1. Damals, noch als Leiter der Stiftung, nahm ich einen ersten Kontakt mit den jeweiligen Stadtverwaltungen auf. Fast immer gelang es mir, den Stadtpräsidenten zu überzeugen, uns für jeweils 120 Familien ein grösseres Stück Land zur Verfügung zu stellen. Mit dieser Zusage besuchten wir dann die schlimmsten Fälle vertriebener Familien und nach einer längeren Auswahl fanden wir die Menschen, die ein Eigenheim am notwendigsten hatten. Dies beinhaltete natürlich eine Reihe von Versammlungen, Erklärungen und Verpflichtungen von allen Seiten.
  2. Mit Hilfe der Ingenieure der Stadt wurden die Pläne erarbeitet. Mit dem Geld aus Genf kauften wir das gesamte Baumaterial.
  3. Jede ausgesuchte Familie hatte sich verpflichtet 2 Tage in der Woche beim Aufbau und, unter der Aufsicht eines Baumeisters,  mitzuhelfen: Bereitstellung des Baumaterials, erste Aushübe etc.
    Die feindlichen Auseinandersetzungen der letzten 50 Jahre zwischen den Guerrillagruppen und der kolumbianischen Regierung haben rund 250’000 Todesopfer und mehr oder weniger 8 Millionen  Flüchtlinge gefordert. Diese Menschen mussten ihre angestammten Wohnorte wegen dem Krieg fluchtartig verlassen und in grösseren Städten Zuflucht suchen.
beim Aufbau des Heimes
  1. Unsere Stiftung leitete die Aufbauarbeit und sorgte so dafür, dass die rund 120 Häuser in der geplanten Zeit fertiggestellt wurden.
die Frauen und Mütter beim Vorbereiten des Mittagessen

Meistens, nach mehr oder weniger 6 Monaten, konnten wir unter Teilnahme des Stadtpräsidenten, des Ortsbischofs und den Verantwortlichen unserer Stiftung den Familien den Schlüssel zu ihrem Haus übergeben. Immer ein grosses Fest mit viel Freude und Tränen, denn nach jahrelangen Entbehrungen konnten diese Menschen schlussendlich in ihr eigenes Häuschen einziehen.

Übergabe der Häuser mit Bischof und Stadtpräsidenten. Begrüssung durch Richard Aufdereggen

Auf diese Weise konnten wir in den drei grossen Städten knapp 400 Familien ihr Heim übergeben: Cartagena, Sincelejo und Montería, alle in der Karibikküste Kolumbiens.

In Bogotá selbst bauten wir in all diesen Jahren keine neuen Viertel auf, vielmehr verbesserten wir eine grosse Zahl von Elendshütten wo vertriebene Familien  hausten. Das Vorgehen unterschied sich kaum vom vorher Beschriebenen: mit Hilfsgelder aus der Schweiz kauften wir die notwendigen Baumaterialien und bezahlten einen Baumeister. Die Familien halfen beim Aufbau mit. Auf diese Weise konnten wir in etwa 25 Jahren rund 150 Familien ihr Eigenheim verbessern.

das fertige Haus

Kolumbien – Weltmeister in der Kokainproduktion (der Einsatz von Glyphosat)

Als ich vor 49 Jahren nach Kolumbien kam und und meine soziale und pastorale Aufbauarbeit in einem sehr armen und ländlichen Gebiet begann, kam ich bald mit dem Kokablatt in Kontakt. Viele Kleinbauern begleiteten die harte Arbeit auf dem Lande mit dem “Kauen oder Lutschen” des Kokablattes. Dies gab ihnen zusätzlichen Ansporn zur Arbeit und liess sie oft die gewohnten Mahlzeiten vergessen. Doch nie sah ich in dieser Umgebung das aus diesem Blatt gewonnene Kokain; dies wurde später erarbeitet und exportiert. Und damit begann ein Riesengeschäft, das Kolumbien nicht nur Unmengen von Geld, sondern vor allem Krankheit, Korruption und, für viele Menschen, den Tod brachte.

Der wohl bekannteste Vertreter dieser Kokainverbrecher war Pablo Escobar: er baute eine enorme kriminelle Organisation auf, die nicht nur Hunderte von Tonnen Kokain exportierte, sondern auch Tausende von Menschen umbrachte. Aber auch nach seinem Tod ging das Geschäft weiter, denn es ist so rentabel, dass man kaum ein baldiges Ende vermuten kann. Ein kg Kokain im kolumbianischen Urwald kostet rund USD 1300.-, die gleiche Menge in den USA kostet um die USD 27´000, in Europa kann dies bis zu USD 53´000 steigen.

Nicht mehr Kaffee sondern Kokain

Kolumbien ist eines der wichtigsten Kaffeeproduzenten der Welt (nach Brasilien), dies schon seit der Kolonialzeit. Hier leben immer noch (schlecht und recht) rund 600´000 Familien von diesem landwirtschaftlichen Produkt, also ein wichtiger Teil der hiesigen Bevölkerung. Doch man lebte zufrieden mit dem Kaffee. Ich konnte selber Zeuge sein davon: wo Kaffee angebaut wurde gab es Schulen, Spitäler, gute Strassen etc. Aber dieses Glück dauerte bis 1989 als der, bis dahin gültige, internationale Kaffeepakt aufgehoben wurde. Dieses Kaffeeabkommen definierte den jährlichen Weltverbrauch und verteilte die erforderten Tonnen Kaffe auf die Produktionsländer. Doch mit diesem Entscheid einiger, nördlicher, Regierungen (vorallem der USA) war der Kaffeesegen für die vielen Bauern vorbei. Und so wechselten viele Familien vom Kaffee zum Kokain, denn die Preise waren unendlich viel besser. (nach neuen Schweizer Pressemeldungen erhält der kolumbianische Kaffeebauer heute noch etwa 3% des Kaffeepreises, den man in Zürich bezahlt). So sagte mir kürzlich eine Landfrau, die ich seit vielen Jahren kenne: “wenn ich meine Kinder eingermassen ernähren will, geht dies nur über die Kokaproduktion!”

Aufstieg der Kokainproduktion

In den letzten 15 – 20 Jahren hat sich die landwirtschaftliche Fläche zum Kokainanbau vervielfacht. Heute, 2019, rechnet man hier mit rund 200´000 Hektaren Koka. Im letzten Jahre wurden rund 1’400 Tonnen kolumbiansichen Kokains auf dem Weltmarkt umgesetzt, vor allem in den USA. Was dies alles an illegalem Geldtransfer, Korruption, Gefängnisstrafen und sogar Toten beinhaltet, kann man sich kaum vorstellen.
Und so begannen hier in den letzten Jahren die nie endenden Diskussionen über die Bekämpfung der Kokainproduktion und dessen Handel. Dies natürlich vor allem auf Drängen der nordamerikanischen Regierungen, die eigenartigerweise früher nicht mit einem anständigen Kaffeepreis einverstanden waren und deswegen die Kokainproduktion ungemein antrieben.

Der Einsatz von Glyphosat

Eines der bisher eingesetzten Bekämpfungsmittel ist eben das vom nordamerikanischen Chemieriesen Monsanto (im Besitz heute von Bayer) hergestellte Glyphosat. In den vergangenen Jahren wurden hier jährlich Tausende von Hektaren Kokapflanzungen bespritzt. Doch dieser Einsatz war schon immer sehr umstritten. Von Kleinflugzeugen wurden täglich die Kokastauden überflogen und berieselt. Doch dieses Gift tötete nicht nur die Kokapflanzen; alle übrigen landwirtschaftlichen Produkte gingen ebenfalls verloren. Weiter wurden massenweise Wasserquellen vergiftet. Aber das Schlimmste war und ist der Schaden am Menschen. Obwohl als Giftstoff, der dem Menschen schadet, noch umstritten, ist man sich hier einig, dass das Glyphosat die Gesundheit des Menschen angreift. (Die internationale Agentur für Krebsforschung hat schon vor längerer Zeit berichtet, dass das Glyphosat “wahrscheinlich krebserregend” ist). Es kam hier zu richtigen Aufständen der betroffenen Menschen gegen dieses Gift, bis schliesslich das oberste Verfassungsgericht Kolumbiens dessen Einsatz verbot. Aber nun, mit dem neuen, konservativen, kolumbianischen Präsidenten Ivan Duque, möchte die Regierung erneut aufs Glyphosat zurückgreifen. Hier geht es natürlich in erster Linie um einen Gefallen dem allmächtigen Donald Trump gegenüber, der bereit ist, der hiesigen Regierung Millionenbeträge zu bezahlen, wenn nur dieses Gift fleissig kleine Bauerngüter berieselt. Was dabei den Kleinbauern geschieht interessiert in Washington niemand.
Dabei fragt sich kaum jemand in den USA oder Europa ob man vielleicht andere Methoden anwenden könnte, wie zum Beispiel einen gerechten Preis für die Kaffee- oder Kakaoernte bezahlen. Ich bin absolut sicher, dass die meisten Bauern sich wieder den legalen Produkten zuwenden, wenn sie nur damit ihre Familien ernähren können.

Ein ungemein steiler Weg…

zum Friedensprozess in Kolumbien

Nach 53 Jahren kriegerischer Auseinandersetzungen und rund 250’000 Toten wurde schliesslich 2017 ein Friedenspakt unterschrieben. Dank dem entschiedenen Eintreten des früheren Präsidenten und Friedensnobelpreisträgers Juan Manuel Santos und nach 4 Jahren intensiver Diskussion in Kuba entschieden sich die rund 7’000 Guerilleros der Gruppe FARC (Fuerzas Armadas Revolucionarias de Colombia) ihre Waffen abzugeben und auf weitere kriegerische Handlungen zu verzichten.

Von einer grossen Liste dieser Verhandlungsergebnissen möchte ich nur einige wenige nennen:

  • Die an diesem langen Konflikt beteiligten Parteien (Guerrilla, Paramilitärs und ordentliches Heer) und ihre Verbrechen sollen von einer speziell geschaffenen Friedensjustiz angehört und gerichtet werden.
  • Eine so notwendige und immer wieder verschobene Landreform soll endlich durchgeführt werden. Dies in einem Land mit 1´200’000 Hkt. Land, wo nur 2% der Bevölkerung rund 60% des bebaubaren Bodens besitzt!!
  • Die Guerrilleros sollen sich in eine politische Partei verwandeln können und haben das Anrecht auf Vertretung im kolumbianischen Parlament.
  • Der Staat fördert die Wiedereingliederung der früheren Guerilleros ins Berufsleben mit Studienangeboten und Krediten. 
Der Friedensabschluss:
der kolumbianische Präsident, Staatschef Casto von Kuba und ein Guerillachef

Ich möchte mich heute speziell mit dem ersten Punkt befassen, der Friedensjustiz (JEP, Justicia Especial para la Paz), weil gerade die Umsetzung dieser Norm viel Schweiss und Anstrengung fordert.

  • Bei der Friedensjustiz handelt es sich um eine für diesen Friedenspakt geschaffene Gerichtseinheit. Sie handelt unabhängig von der ordentlichen Gerichtsbarkeit. Die Richter werden nur für diese spezifische Aufgabe ernannt.
  • Die JEP soll alle Verbrechen richten, die mit dem 53-jährigen Konflikt zu tun haben. Personen, die bereits von der ordentlichen Justiz für ihre Kriegsverbrechen verurteilt wurden, haben das Anrecht sich erneut dieser neuen Justizinstanz zu stellen. Somit wird das ausgesprochene Urteil revidiert.
  • Alle Kriegsakteure, die eines oder mehrerer Verbrechen schuldig sind, können vor die Richter der JEP gehen. Also: Guerrilleros, Soldaten und Offiziere und paramilitärische Einheiten. Sie sollen alle mit dem gleichen Massstab gerichtet werden. Übrigens weiss man heute, dass 60% der Gewalttaten von den Militärs und paramilitärischen Gruppen begangen wurden. Die Guerilla muss für die restlichen 40% gerade stehen.
  • Der wichtigste Punkt dieses Verfahrens ist die Wahrheit. Wer in den Genuss dieser Art Urteile kommen will, muss vor dem Richter die gesamte Wahrheit sagen. Wer dies wirklich tut, kann mit einem Schuldspruch von 3 -8 Jahren Gefängnis rechnen, dies hängt natürlich vom begangenen Verbrechen ab. Trotzdem muss die für schuldig gefundene Person nicht ins Gefängnis, sondern kann diese Zeit mit einem Sozialdienst abbüssen.
  • Wer die wahren Ereignisse nicht aussagt oder über seine Verbrechen schweigt, muss mit 3 – 8 Jahren Gefängnis rechnen und diese auch in einem ordentlichen Gefängnis abbüssen. 

Soweit, so gut!

Das eigentliche Drama beginnt erst dann, wenn sich in diesen Gerichtsverhandlungen sowohl Konflikt beteiligte sowie Opfer gegenüberstehen. In den letzten Wochen und Monaten konnte ich am Fernsehen viele solcher Treffen verfolgen. Die Aussagen, Zeugnisse und Haltungen zeigen immer noch einen tiefen Graben. Da sitzen weinende Mütter, die einen oder mehrere Söhne oder Töchter im Krieg verloren haben vor den schuldigen Schergen: da hohe Offiziere und auch die Regierung einen enormen Druck auf die Truppen ausübten, damit diese Resultate vorzeige, wurden arme und junge Menschen aus den Armenviertel entführt und dann erschossen. Diese wurden anschliessend als im Gefecht erledigte Guerilleros aufgeführt. Man rechnet heute mit rund 2’500 solcher “falsos positivos” (falsche Erfolgsmeldungen an der Front); arme und unschuldige Opfer.

Ein Bauernopfer vor den Richtern
Ein Bauernopfer vor den Richtern

Oder da eine bekannte Persönlichkeit der Politik oder ein ehemaliger General, die von den Farc-Rebellen entführt und jahrelang unter unmenschlichen Verhältnissen festgehalten wurden. Oft erzählen diese unter Tränen wie sie schlimmer als Tiere behandelt wurden: wochenlang an Bäume angekettet.

Ingrid Betancur, entführt während 7 Jahren, zusammen mit der Präsidentin des neuen Gerichtes

Da ich selber auch von der Guerrilla entführt wurde, (1988) werde ich vielleicht auch zu solchen Verhandlungen eingeladen. Dann muss ich meine Entführer wieder treffen und werde an diese schrecklichen Tage erinnert. Dies wird sicher nicht leicht sein, obwohl ich diese Zeit bereits überwinden konnte und den involvierten Guerilleros verziehen habe.

Dieser so ausgehandelte Friedensprozess ist ein steiler Weg, doch ist er sicher notwendig, wenn die kolumbianische Gesellschaft wieder friedliche Tage erleben will.

Kriegstrommeln!!

die letzten Erreignisse in und um Venezuelasprechen von Kriegseinsatz

Seit meinem letzten Bericht über die Lage in Venezuela ist es dort noch schlimmer geworden. Der Strom der Menschen, die täglich über die Grenze nach Kolumbien kommen, hat nicht abgenommen sondern zeitweise sogar zugenommen. Man rechnet inzwischen mit rund 1’200’000 venezolanischen Bürgern in unserem Land. Bis in den kleinsten Weilern kann man sie antreffen: ausgehungert, schlecht gekleidet, krank.

Um etwas Geld zu verdienen müssen sie sich zu Sklavenbedingungen anbieten, ohne jegliche soziale Sicherheit, wie Krankenkasse, Pension, Erziehung. Andere tragen oft stundenlang Eisenteile auf dem Rücken über die Grenze und erhalten knapp 20 Rappen pro Kilo Eisen. Mit dem Verdienten Geldkaufen sie Lebensmittel und Medikamente. Viele junge, hübsche, Venezolanerinnen müssen ihren Körper verkaufen um überhaupt etwas Esswaren für ihre Kinder zu bekommen. Gerade diese Situation hat sich dermassen zugespitzt, dass in einigen Städten Kolumbiens die hiesigen Sexarbeiterinnen streiken, weil ihre venezolanische Konkurrenz viel billigere Angebote macht!!

Dazu kommt ein weiteres, furchtbares Problem: tausende von venezolanischen Müttern kommen schwanger nach Kolumbien und das Kind kommt hier auf die Welt. Da die Mutter meistens keine Papiere (Pass) besitzt sind die Neugeborenen automatisch staatenlos. Bereits soll es schon 8’000 solcher Kinder in Kolumbien geben.

Die kolumbianische Regierung, die katholische Kirche, verschiedene Nicht-Regierungs-Organisationen etc. haben vieles unternommen, um diesen Flüchtlingen zu helfen. Schliesslich lebten in den 80er und 90ger Jahren auch rund 5 Millionen Kolumbianer in Venezuela, da es dort Arbeit und Verdienst gab. Doch der gute Wille übersteigt bei weitem das enorme Problem. Gerade bei den momentanen Budgetverhandlungen für 2019  im kolumbianischen Parlament hat es sich eindeutig gezeigt, dass es schlicht unmöglich ist, diese Menschenmasse so aufzunehmen, wie man es sich wünschte, vor allem was Erziehung und Gesundheit angeht.

Auch wir in der Stiftung Apoyar haben Kinder von venezolanischen Eltern in den Kindergärten aufgenommen und betreuen sie, so gut es geht. Aber dies ist sicher nur ein Tropfen auf den heissen Stein.

Sollte die Emigrationswelle in dieser Intensität weitergehen, rechnet man hier bis zu 4 Millionen Menschen aus dem Nachbarland in den kommenden 3 Jahren.

Zudem muss gesagt werden, dass nicht alle Inmigranten in Kolumbien bleiben wollen: Tausende reisen (zu Fuss) weiter nach Ekuador und Perú. Auch Brasilien scheint von grosser Anziehungskraft zu sein. Bereits ist es dort zu Ausschreitungen gegen die Flüchtlinge  gekommen.

Venezuela, das Land mit den grössten Erdölvorkommen der Welt!

Die linken Regierungen in Caracas haben mit dem Reichtum des Landes Schindluder getrieben. Die Wirtschaft ist am Boden, die Inflation erreicht dieses Jahr 400’000%.

DieWarenhäuser sind leer, täglich sehen wir hier im Fernsehen die Warenregale  –  fastnichts ist zu haben..

Auch die medizinische Versorgung ist mehr als kläglich, die meisten Medikamente sind schlichtweg nicht zu erhalten.  Schon deswegen kommen, zu Fuss, täglich rund 60’000 hungernde und kranke Venezolaner nach Kolumbien um Esswaren und Medikamente zu kaufen.

Und in Caracas sitzt der stolze Präsident Nicolás Maduro und beschimpft die Flüchtlinge als Verräter. Anfängliche Aufstände brachten 400 Tote und noch mehr Regimekritiker im Gefängnis. Wer nicht dort landen wollte, flüchtete ins Ausland. Alle Gegner werden mundtot gemacht. Dabei sitzt die führende Schicht in Caracas auf Goldminen. Man weiss inzwischen, dass viele dieser Regime-Treuen Millionenschwere Konti im Ausland besitzen. So wurde kürzlich dem 2. Mann in der Regierung, Diosdado Cabello, in den USA ein 20-Millionen USDollar-Flugzeug konfisziert.

Was nun tun???

Nicht nur in Kolumbien, auch in Ekuador, Perú und Brasilien ist man  verzweifelt und weiss nicht mehr wo ein und aus. Donald Trump spricht schon seit Wochen: alle Optionen sind offen, natürlich auch die militärische. Auch die Aussagen der Leiter der Organisation amerikanischer Staaten gehen in diese Richtung. Sogar führende kolumbianische Politiker liessen sich für eine bewaffnete Intervention erweichen.

Doch es handelt sich hier um eine äusserst gefährliche Entscheidung, nicht zuletzt für Kolumbien. Venezuela und Kolumbien haben eine gemeinsame Grenze von rund 2100 km. Aber was noch schlimmer ist: Venezuela ist bis auf die Zähne bewaffnet. Chavez kaufte noch in seinen Amtsjahren für viele Milliarden US-Dollar Waffen ein, vor allem in Russland. So hat Kolumbien dem bewaffneten Venezuela kaum mehr als Steinschleuder entgegenzusetzen.

Venezuela am Abgrund

Was sich momentan zwischen Venezuela und Kolumbien abspielt ist kaum beschreibbar, aber noch unglaublicher ist die Situation von Millionen von Venezolanern. In diesem kurzen Bericht möchte ich davon erzählen, aber auch die Probleme beschreiben, die eine andauernde Massenflucht von Venezuela nach Kolumbien bedeutet.

Ich habe Venezuela noch vor der Herrschaft von Hugo Chavez kennengelernt, da ich Sozialprojekte des schweizerischen Zementherstellers Holcim in Venezuela betreute. Mein erster Eindruck war, verglichen mit Kolumbien, der grosse Reichtum dieses Landes. Venezuela besitzt die grössten Erdölvorkommen der Welt. Doch gleich wurde mir bewusst, dass eine kleine Gruppe von superreichen Familien dieses Land regierte und mit vollen Händen sich dieses Reichtums bediente. Dann machte sich schrittweise der bekannte Oberst Hugo Chávez bemerkbar, indem er diese ungerechte Verteilung des Reichtums kritisierte und gewann immer mehr Anhänger bis er schliesslich 1999 die Präsidentschaftswahlen gewann. Sein Wahlversprechen: der grosse Reichtum des Landes sollte allen zugute kommen. Die Begeisterung war riesengross, aber auch der Fluss der Ölmilliarden. Damals bezahlte man auf den internationalen Märkten noch über 100 USD pro Fass Öl. Nach seiner Linksphilosophie sollte nun alles verstaatlicht werden: alles gehört dem Volk! Auch die mir bekannte Zementfabrik Holcim wurde “dem Volk übergeben”. (Ob das Volk heute dort noch Zement produziert ist eine grosse Frage)

Die Ölproduktion brachte so viel ein, dass Chávez seinem Herzensfreund Fidel Castro das notwendige Erdöl für Kuba schenken konnte.

Doch dieser Ölsegen nahm plötzlich ein jähes Ende. 2013 starb Chávez und bereits 2014 fiel der Ölpreis um 72%, auf 28 USD. Damit war die Dollarschwemme aus dem Norden vorbei.

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Die Frau des Jahres – Yeisuly Tapias

In den letzten Kapitel habe ich immer wieder von unseren Bemühungen gesprochen, dass die in unseren Projekten beteiligten Menschen ihr Bewusstsein stärken müssen: ihrer Rechte und Pflichten als Menschen und Bürger des Staates inne werden, auch wenn sie zu den ärmsten Schichten gehören. Dass wir dabei wahre Wunder erleben konnten scheint zweifellos. Von einem solchen “Wunder” möchte ich heute schreiben.

Die junge Frau heisst Yeisuly Tapias und ist heute 29 Jahre alt. Ihre Kindheit ist geprägt vom kolumbianischen Konflikt: mit ihren Eltern und 8 Geschwistern lebten sie auf einem kleinen Bauernhof in San Diego, in einem Dorf im Dept. Caldas, wo wir schon seit 25 Jahren viele Menschen unterstützen (apoyar). In diesem Teil des Departementes bekämpften sich damals die Guerilleros und paramilitärischen Gruppen aufs Blut. Wer in den Verdacht kam, mit der gegnerischen Gruppe zu sympathisieren oder sie zu informieren, musste mit einem sicheren Todesurteil rechnen. So auch der Vater von Yeisuly. Die rechtsstehenden paramilitärischen Verbrecher hatten den Verdacht, dass er die Guerilleros mit geheimer Information bediente. So wurde er entführt, während 8 Monaten wusste die Familie nichts mehr von ihrem Vater, vielleicht hatten sie ihn in dieser Zeit schon ermordet.

Die Mutter namens Virtud (auf deutsch Tugend) musste mit ihren 8 Kindern nach San Diego ziehen, wo sie sich auch nicht sicher fühlte. So reisten sie bald darauf mit dem wenigen Hab und Gut nach La Dorada, einer Stadt am Magdalenafluss, mit rund 100’000 Einwohnern, wo sie sich einigermaßen sicher fühlten. Die ersten Monate und Jahre waren für Mutter Virtud ein enormer Kreuzweg: ihr Mann und Vater von 9 Kindern entführt und eine riesengroße Armut. Mit Kleider waschen und Häuser putzen hielt sich die grosse Familie über Wasser. Zu dieser Zeit begannen wir diese und andere von der Gewalt vertriebenen Frauen zu unterstützen (apoyar). Es entstand die Organisation von organisierten Frauen von San Diego (AMOSDIC: Asociación de mujeres organizadas de San Diego, Caldas). Sie widmeten sich der Herstellung von Kleidern und deren Verkauf. Dieses klein begonnene Projekt hatte viel Erfolg und die finanzielle Situation der Frauen und ihrer Familien begann sich zu besseren. Meine Frau Ana Dilia begleitete die Arbeit dieses Vereins. Damals war Yeisuly rund 16 Jahre alt. Wie sie, gab es auch viele andere vertriebene Jugendliche, die mit viel Opfergeist in die Schule gingen, aber ihre Zukunft war doch sehr dunkel. So bgann die Stiftung Apoyar mit einem Projekt zur Förderung dieser Jugendlichen. Es entstand ASOJE (Asociación de Jóvenes Emprendedores), Verein unternehmerischer Jugendlicher.

Zur selben Zeit versuchte der inzwischen freigelassene Vater von Yeisuly sein verlassenes Bauerngut in San Diego wieder in Griff zu bekommen. Obwohl man ihn riet, darauf besser zu verzichten, ging er mehrmals auf seinen kleinen Hof. Schlussendlich wurde er eines Tages in La Dorada ermordet, von wem weiss man heute noch immer nicht. Doch sicher hat es mit seinem Bauernhof zu tun. Ein neuer Schlag für seine grosse Familie!
Zurück zu Yeisuly und dem Jugendverein! Beeindruckt vom Erfolg ihrer Mutter und deren Geist zur Überwindung der schlimmen Situationen nahm sie immer aktiver an den Arbeiten der Gruppe teil. Nach kurzer Zeit war sie der denkende und führende Kopf der organisierten Jugendlichen. Die Arbeit mit dieser Gruppe von vertriebenen Familien war gar nicht einfach: die meisten litten unter psychologischen Schwierigkeiten. Aus diesem Grunde mussten wir immer wieder den Psychologen der Fundación bitten, die Jugendlichen zu begleiten. Mit einem Stipendium unserer Organisation konnten die meisten jungen Menschen ihre Mittelschule abschliessen. So auch Yeisuly, die dann mit einem Studium für Sozialarbeit begann. Inzwischen war sie die absolute Leiterin der Gruppe.

Zur selben Zeit wurde das Landwirtschaftsministerium auf sie aufmerksam. Diese Regierungsinstitution unterstützte ein Programm zur Förderung von Landjugendlichen in ganz Kolumbien. Yeisuly wurde gleich in dieses Programm eingebunden und erweiterte ihre Arbeit auf ganz Kolumbien. Ihr Erfolg war gross, so dass eine weitere Organisation sie ins Visier nahm: CAFAM. Es handelt sich hierbei um eine der grössten Sozialinstitutionen des Landes. Unter anderem ist sie die wichtigste Familienausgleichskasse Kolumbiens. Seit rund 30 Jahren wählt sie jährlich die Frau des Jahres, eine grosse Ehre, die jener Frau zugute kommt, die sich in besonderer Weise für ihre Mitmenschen eingesetzt hat.

Und diese Ehre fiel 2016 auf Yeisuly Tapias, mit nur 26 Jahren. Dieser Preis spornte sie an, weiterhin noch mehr für ihre Mitmenschen, vor allem die Jugendlichen aus dem Land, zu tun. Inzwischen wurde sie auch von einer internationalen Frauenorganisation in Genf eingeladen (www.woman.ch) Wahrscheinlich wird sie im Herbst dieses Jahres in die Schweiz kommen und auch dort einen Ehrenpreis erhalten.
Obwohl sie damit die Grenzen von Apoyar weit gesprengt hat und nun eine nationale Persönlichkeit ist, ist ihre enge Beziehung zu uns geblieben. Und sie bekennt immer und immer wieder, dass Apoyar dieses in ihr flammende Feuer entfacht hat.
Aber nicht nur Yeisuly sondern auch ihre jungen Freunde von damals in La Dorada sind alle denselben Weg gegangen. Die meisten arbeiten als Sozialarbeiter in verschiedenen Teilen des Landes.

Anad Dilia und Richard Aufdereggen

Für mich ist dies ein zweifelloser Beweis, dass unsere Methode der bewusstseinsbildenden Sozialarbeit auf dem richtigen Weg ist.