Venezuela am Abgrund

Flüchtlinge aus Venezuela

Was sich momentan zwischen Venezuela und Kolumbien abspielt ist kaum beschreibbar, aber noch unglaublicher ist die Situation von Millionen von Venezolanern. In diesem kurzen Bericht möchte ich davon erzählen, aber auch die Probleme beschreiben, die eine andauernde Massenflucht von Venezuela nach Kolumbien bedeutet.

Ich habe Venezuela noch vor der Herrschaft von Hugo Chavez kennengelernt, da ich Sozialprojekte des schweizerischen Zementherstellers Holcim in Venezuela betreute. Mein erster Eindruck war, verglichen mit Kolumbien, der grosse Reichtum dieses Landes. Venezuela besitzt die grössten Erdölvorkommen der Welt. Doch gleich wurde mir bewusst, dass eine kleine Gruppe von superreichen Familien dieses Land regierte und mit vollen Händen sich dieses Reichtums bediente. Dann machte sich schrittweise der bekannte Oberst Hugo Chávez bemerkbar, indem er diese ungerechte Verteilung des Reichtums kritisierte und gewann immer mehr Anhänger bis er schliesslich 1999 die Präsidentschaftswahlen gewann. Sein Wahlversprechen: der grosse Reichtum des Landes sollte allen zugute kommen. Die Begeisterung war riesengross, aber auch der Fluss der Ölmilliarden. Damals bezahlte man auf den internationalen Märkten noch über 100 USD pro Fass Öl. Nach seiner Linksphilosophie sollte nun alles verstaatlicht werden: alles gehört dem Volk! Auch die mir bekannte Zementfabrik Holcim wurde “dem Volk übergeben”. (Ob das Volk heute dort noch Zement produziert ist eine grosse Frage)

Die Ölproduktion brachte so viel ein, dass Chávez seinem Herzensfreund Fidel Castro das notwendige Erdöl für Kuba schenken konnte.

Doch dieser Ölsegen nahm plötzlich ein jähes Ende. 2013 starb Chávez und bereits 2014 fiel der Ölpreis um 72%, auf 28 USD. Damit war die Dollarschwemme aus dem Norden vorbei.

Sein Nachfolger Nicolas Maduro wollte den Traum Chávez auf alle Fälle weiterführen, nur fehlten ihm die Öleinnahmen. So begann der eigentliche wirtschaftliche Abstieg für Venezuela: der miserable Ölpreis, die fehlende Eigenproduktion (Industrie und Landwirtschaft, seit Jahren vernachlässigt) und immense Auslandsschulden. Und damit begann der Kreuzweg von rund 32 Millionen Venezolanern: der Regierung fehlt schlechthin das Geld für die notwendigen Importe:

  • Heute sind die Warenregale in den Supermärkten praktisch leer,
  • Medikamente sind kaum zu bekommen,
  • Die Inflation stieg in den letzten Jahren bis auf 2800% pro Jahr.
  • Der staatlich festgesetzte Mindestlohn reicht gerade für ein para kg. Kartoffeln und ein wenig Reis. (im Durchschnitt 3 USD monatlich!)
  • Die Regierung kann den Verpflichtungen der Auslandsschulden nicht mehr nachkommen,
  • Bei Massenprotesten wurden im vergangenen Jahre mehr als 120 Menschen von der Polizei- und Militärgewalt ermordet.

Und so begann sich das Problem nach Kolumbien zu verschieben. Zwischen beiden Ländern gibt es eine Grenze von 2’219 km und somit eine riesige Invasionsmöglichkeit. Heute leben bereits rund 1 Million Venezolaner in Kolumbien, verteilt auf grosse und mittelgrosse Städte. Sie suchen verzweifelt nach etwas Nahrung und sind zu allem bereit.

Täglich kommen rund 60’000 nach Kolumbien um Lebensmittel und Medikamente zu kaufen, viele gehen am Abend wieder zurück, andere bleiben.

Sie schlafen auf den Gehsteigen und versuchen ihre paar Habseligkeiten zu verkaufen um etwas Esswaren mitnehmen zu können. Wer Arbeit bekommt muss damit rechnen, dass er ausgenützt wird: schlechte oder gar keine Bezahlung. Viele junge und hübsche Venezolanerinnen müssen hier ihren Körper verkaufen um etwas Geld an ihre Familien senden zu können, viele von ihnen mit Universitätsausbildung: ein riesiges menschliches Drama!

die ersten Nächte in Kolumbien

Die kolumbianische Regierung hat bisher versucht den einwandernden Massen zu helfen, doch das Problem hat solche Ausmasse angenommen, dass es immer schwieriger wird: Tausende von Schulkindern sollten studieren, doch alle haben schlechthin in den Schulzimmern nicht Platz, viele junge Venezolaner haben auch begonnen mit Überfall und Raub und kommen dann in die sowieso schon überfüllten Gefängnisse. Auch die medizinische Versorgung dieser Flüchtlinge ist ein Riesenproblem, die meisten von ihnen haben keine Krankenkasse in Kolumbien.

60’000 täglich

Und der blutige Diktator Nicolás Maduro in Caracas will weiterhin an der Macht bleiben. Am 22. April 2018 sind Neuwahlen angekündigt, doch die Anführer der Opposition sind entweder im Ausland oder in den Gefängnissen. (Alle Diktaturen sind ähnlich: siehe den rechtsextremen Pinochet en Chile!). Wer die Situation verändern könnte sind die von Chávez bestens ausgerüsteten Militärs. Doch diesen übergab Maduro die wichtigsten Posten des Staates und die wenigen Erdöleinnahmen werden unter ihnen verteilt. Und so sind die 14 Stationen unseres Kreuzweges für die Menschen in Venezuela noch lange nicht beendet. Hier in Kolumbien geht man davon aus, dass in den kommenden Monaten (und vielleicht Jahren) noch sehr viele Venezolaner in unser Land kommen möchten.
Meiner Ansicht nach kann nur ein entschiedenes Eintreten des Auslandes dieser Situation ein Ende setzen, doch dies ist leichter gesagt als getan. Noch immer gibt es viele Staaten, die von “der sozialistischen Ausrichtung der Dinge “ in Venezuela überzeugt sind: allen voran Russland, das noch vor Jahren riesige Mengen an modernen Waffen an Chávez verkaufen konnte. Aber auch Bolivien, Nicaragua, Kuba etc.

In unserer Stiftung Apoyar haben wir bisher versucht in den Projekten Menschen aus Venezuela aufzunehmen und sie zu unterstützen (apoyar), insofern sie dies wünschen. Vor allem in den Armenvierteln von Bogotá werden Kleinkinder in unseren Krippen aufgenommen und ihre Mütter werden zu Ausbildungskursen eingeladen, wo sie auch eifrig teilnehmen.

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