Einführung – Helfen macht froh!!

Richard Aufdereggen, 1968

Wenn ich jetzt, 2017, nach 76 Altersjahren, auf mein  Leben zurückblicke, begleiten mich gute Gefühle: es hat sich gelohnt! Ich habe den richtigen Weg eingeschlagen. In den nun 47 Jahren in Südamerika konnten wir – ich und meine Mitarbeiter, vor allem mit meiner Frau Ana Dilia – Tausende von Kindern, Jugendlichen, Frauen, Bauern  und ihren Familien ein Stück Weges begleiten und unterstützen (apoyar),um ihr Leben zu verbessern. (Wir haben vor kurzem versucht eine Liste der an unseren Projekten beteiligten Menschen zusammenzustellen, wir kamen auf etwas mehr als 250’000 in 30 Jahren!!) Aber auch unser Leben hat sich verbessert!  Immer wenn ich ein von uns durchgeführtes Entwicklungsprojekt besuche und frohe und lachende Kinder antreffe, wenn ich mit Bauern zusammenkomme, die mir stolz ihre verbesserten, ohne Chemie produzierten, Produkte zeigen, ist es für mich ein weiterer Beweis: es hat sich gelohnt!

Wenn ich einer, vom kolumbianischen Konflikt, vertriebenen Familie nach Jahren von Armut und Entbehrung, schlussendlich den Schlüssel zu einem neuen Eigenheim übergeben kann, ist dies fast ein sakraler Moment. Zusammen – Gemeindeverwaltungen, Familien und unsere Stiftung Apoyar – konnten wir in drei grossen Städten Kolumbiens rund 450 Familien in den letzten 25 Jahren diesen Eigentumstitel übergeben. Welche Freude für Menschen, die jahrelang in miserablen Unterständen überleben mussten!

Dabei hätte es ganz anders sein können. Nachdem ich als junger, 16-jähriger, Bursche aus Obergesteln VS mich entschied, im Kollegium in Brig, das Handelsdiplom bzw. die Handelsmatura  zu machen, hatte ich viele Wege in die Zukunft offen. Da war z.B. die Handelshochschule  in St. Gallen. Nach einem Wirtschaftsstudium dort wäre mir der Weg in die weltbekannte Schweizer Bank sicher offen gestanden. Die finanziellen Vorteile einer solchen Karriere lagen auf der Hand, vor allem in den 60-und 70-ziger Jahren. Unsere 50 Jahre Handelsmaturafeier 2013 bewies dies: einige meiner Matura-Kollegen gingen diesen Weg  und sie konnten Riesenerfolge feiern, zumindest finanzielle. Mit der Erziehung seitens meiner Mutter Bertha  und meines Vaters Julius  habe ich keinen Zweifel, dass ich mich auch in diesem Umfeld mit Erfolg hätte behaupten können.

Diese Hände von Mutter Bertha und Vater Julius zeigten mir – uns – den Weg ins Leben

Doch mich begleiteten immer andere Sorgen. Schon im Kollegium trafen wir uns in  kleinen Gruppen und diskutierten über die miessliche Situation in der Welt. Während einige wenige zuviel besassen, leideten zu viele an extremer Armut. Die Ungerechtigkeit nagte an mir schon damals wie ein Wurm, der mich nicht mehr los liess. Immer mehr wurde mir bewusst, dass ich nicht einfach vom grossen, finanziellen,  eidgenössischen  Kuchen essen  sollte, sondern mein Wissen und meine Anstrengungen für eine  gerechtere Welt einsetzen sollte.

Zugleich sinnte ich auch über die Möglichkeiten, die ich hatte, um diesen Weg zu gehen. Im Vordergrund stand dabei die katholische Kirche, in aller Welt präsent und auch engagiert mit der damaligen neuen Welle des II Vatikanischen Konzils und der neuen  Befreiungstheologie (siehe dieses Kapitel). Zudem war ich schon damals beeindruckt von der christlichen Lehre der Gleichheit, Barmherzigkeit und Gerechtigkeit.

Noch während meines Theologiestudiums im Priesterseminar in Sitten, VS, schaute ich mich ein bisschen um. Eine katholische Institution fiel mir gleich auf: die Immenseer Missionare. Anschliessende Gespräche mit dem damaligen Generaloberen Josef Amstutz und dem Generalsekretär Crottogini bestätigten mich enorm. Es ging ihnen nicht nur um  Glaubensverkündigung, wie es die spanischen Missionare während Jahrhunderten in Südamerika taten; die Immenseer Richtung war eine ganzheitliche Antwort auf die Notwendigkeiten des Menschen, vor allem die der Dritten Welt. Die Mission sollte den ganzen Menschen umfassen: sowohl sein geistliches wie menschliches Wohl. Und dies entsprach auch meiner Sicht dieser grossartigen Aufgabe.

So bat ich gleich nach der Priesterweihe meinen Bischof Nestor Adam, mich der Gruppe Immensee anzuschliessen, mindestens auf Zeit. Bald darauf (1969) schloss ich mit den Immenseern einen Vertrag für 3 Jahre; der erste Missionar auf Zeit!  Nach einer gründlichen Vorbereitung meinerseits  in der Schweiz und Deutschland (München) wurden wir schlussendlich zu einem interdisziplinären Team zusammengeschlossen: eine Krankenschwester (Rös Würms, die vorher in Haití gearbeitet und eine riesengrosse Erfahrung sammeln konnte), eine Sozialarbeiterin (Margrit Meier, die in Brasilien tätig war), ein Agronom (Mathias Sticher) und ich als Theologe. Ich kam im Juni 1970 nach Kolumbien, meine Teamkollegen waren bereits hier.

Nun bereiteten  wir uns auf die bevorstehende Aufgabe vor: ein erster und wichtiger Schritt war die Gruppenintegration. Mit Hilfe von Spezialisten versuchten wir einander zu kennen, zu schätzen und eine gemeinsame Arbeitsformel zu finden. Das war nicht leicht, hatten doch die beiden Damen bereits jahrelange Südamerikaerfahrung, uns Männern ging dies ab. Doch die Bereitschaft Neues zu lernen, erleichterte die Aufgabe.

Andrerseits suchten wir gemeinsame Arbeitsformeln, vor allem pädagogische und  soziale. In pädagogischen Aspekten liessen wir uns leiten von den Vorschlägen des brasilianischen Erziehers Paulo Freire (siehe Kapitel darüber!).  Was uns alle auch leitete war ein tiefer christlicher Glaube. Und hier wiederum nahmen die Ideen der damals in Südamerika überall  präsenten Befreiungstheologie einen wichtigen Platz ein.

Nach dieser gründlichen Vorbereitung bat man uns, im kleinen Dörfchen Leiva (im Dept. Nariño, angrenzend an Ekuador) die Arbeit aufzunehmen. Es gab damals kaum ein anderes Dorf in Kolumbien, dass derart abseits von der Welt sein Dasein fristete: nur die Reise ins Dorf erforderte von der Strasse einen 6-stündigen Ritt und das Überqueren eines gewaltigen Flusses, (Patía)  der in den Pazifik mündet.

Leiva, Nariño

Abgesehen vom Fehlen der Strasse gab es in Leiva kein elektrisches Licht, keine Trinkwasserversorgung, keine medizinische Betreuung und das Erziehungsangebot war mehr als arm. Damals zählte das Dorf rund 12´000 Einwohner, verteilt auf den Dorfkern und rund 35 Weiler. Bis in den letzten Weiler benötigte ich 2 volle Reittage auf einem Maultier, weil Pferde ohnehin in den reissenden Bächen zu Tode stürzen konnten. Wo sollten wir in einer solchen Situation beginnen? Die Antwort war nicht leicht zu finden. Doch nach einer ersten Kontaktnahme mit den Leuten, einem ersten Erstellen von Inventaren und unter Annahme von bisher gemachten Erfahrungen, entschieden wir uns zu folgenden Schritten: jeder sollte auf seinem Gebiet Leute ausbilden, die das angeeignete Wissen daraufhin weitergeben konnten. Bei mir ging es um Katecheten (siehe Kapitel meine 25 Apostel), bei der Krankenschwester um  junge Gehilfinnen, beim Agronomen um interessierte Bauern etc.

In den folgenden Seiten dieses Blogs möchte ich nun auf diese und folgende Sozialarbeiten hinweisen. Mit ganz kleinen Unterbrechungen konnte ich dies während rund 45 Jahren durchführen, einerseits in Kolumbien aber als Projektleiter auch in vielen anderen Ländern Zentral- und Südamerikas. Wenn ich heute zurückblicke muss ich trotz allem feststellen, dass meine Anstrengungen klein geblieben sind, vielleicht ein Tropfen im grossen Meer. Aber ich bin zum gleichen Schluss gekommen wie Mutter Teresa von Kalkutta: “es mag ein Tropfen im Meer sein, doch wenn er nicht dort wäre , würde er fehlen”!

Aber, wie ich anfäglich sagte, diese meine Lebensaufgabe, hat mir unendlich viel Freude bereitet, obwohl nicht immer alles eitel Sonnenschein war.

Darum möchte ich nun auch  Leute einladen einen solchen Lebensweg einzuschlagen, vor allem junge Menschen. Dies kann auch ein Einsatz von Monaten oder wenigen Jahren sein. Ich habe es in diesen Jahren oftmals erlebt, dass junge Schweizer nach einem kurzen Aufenthalt hier, in einem Armenviertel oder bei südamerikanischen Kleinbauern, mit einem erneuerten Weltbild zurück in die Schweiz reisen.

Bogotá, im November 2017

1. Kapitel: Ein erster Schock: meine Feuertaufe!

Anfangs 1971 kamen wir als Team nach Leiva. Wie schon gesagt, ein Dorf unendlich abseits der Welt, ohne Strasse , ohne Licht, ohne Trinkwasser: es fehlte an allem.

Für uns war bald einmal klar, dass die fehlende Strasse ein riesiges Hindernis für alle ist: Verkauf der Agrarprodukte, Ankauf und Heranschaffung der Lebensmittel, Krankheitsfälle, … etc. Was auf dem Maultier herangeschleppt werden muss, verteuert sich enorm. So entschieden wir uns für den normalen und respektvollen Weg: wir reisten mit den Kleinbauern in Gruppen in die Dept.s Hauptstadt Pasto um bei den zuständigen Behörden vorzusprechen. Doch dies war schneller gesagt als getan: die Reise hin dauerte 12 Stunden, mit dem Pferd und auf Naturstrassen. Ich selbst reiste mit kleinen Gruppen in drei Jahren 6 Mal nach Pasto: wir erreichten nichts, nur Versprechen und oft ein mitleidiges Lächeln. Bei einem solchen Besuch im Februar 1974 empfing uns der damalige Gouverneur. Nach einer Wartezeit von mehr als 2 Stunden wurden wir schliesslich in sein elegantes Büro gebeten. Dort brachten wir unsere Bitte vor: die Fertigstellung der Strasse nach Leiva (es fehlten nur noch etwa 10 Kilometer).  Schlussendlich versicherte uns dieser Depts.-Chef: im Monat Oktober habt ihr in Leiva die Strasse. Mir stiegen derart grosse Zweifel auf, dass ich ihn fragte, auf welches Jahr sich sein Versprechen beziehe; mir war Oktober nicht genug.  Es war ein Wunder, das er mich nicht aus seinem Büro vertrieb! Aber ich hatte Recht: im Oktober des gleichen Jahres hatten wir noch keine Strasse!

Gouverneurin des Depts. auf Besuch in Leiva mit Richard und Bauern, “viel Eleganz, weiter nichts!”

Doch dann trat plötzlich das ein, was das Mass voll machte. Es war an einem grauen Regentag  im Jahr 1975. Wir  wurden gerufen, weil eine Frau am Sterben lag. Was ich dann sah übersteigt alle Erzählkunst: an zwei dicken Bambusstangen hängend, inmitten von dort befestigten Leintüchern und Decken, traf ich eine junge Mutter. Sie war völlig erschöpft und lag in ihrem Blut und Erbrochenem. Für sie war die Zeit gekommen ihr Kind auf die Welt zu bringen, doch eine komplizierte Stellung des Kleinen ermöglichte keine normale Geburt. Ihr Mann und drei Freunde trugen sie von einem 5 Stunden entfernten Weiler ins Dorf; vielleicht könnte unsere Krankenschwester helfen. Doch dies war nicht möglich. Sie wurde zumindest gereinigt und erfrischt, dann ging der beschwehrliche Weg weiter. Um den nächstliegenden Spital zu erreichen sollte diese junge Mutter noch mindestens 6 Stunden aushalten.  Nach drei Stunden wurden wir informiert, dass die Frau mit ihrem Kinde nicht überlebte.

Meine Reaktion: eine ungeheure Wut auf diese ungerechte Situation und besonders auf die korrupten Politiker, denen das Leben der Armen egal ist. Ich konnte es nicht fassen, dass diese unschuldigen Wesen sterben mussten. Warum konnte dieses noch ungeborene Kind nicht das Licht der Welt erblicken? Wieso musste eine 20-jährige Frau sterben, nur weil es keine Strasse , um rasch ins Spital zu kommen? Aber es kam noch schlimmer: wochenlang sah ich immer wieder dieses Bild des Elends und der Hoffnungslosigkeit. Oft erwachte ich nachts und sah erneut die groteske Szene der verblutenden  Frau. Bis heute hat mich dieses menschenunwürdige Bild verfolgt.

Und da verstand ich plötzlich jene junge Menschen, die sich für den bewaffneten Widerstand entschieden. Eine Antwort auf diese unmenschliche Interessenlosigkeit der meisten Politiker kann auch der Griff zu den Waffen sein. “Wer nicht hören will muss fühlen”, so hat man uns schliesslich gelehrt.In diesen Jahren (1970-1980) gingen auch eine Reihe von katholischen Priestern zur bewaffneten Guerrilla. Erwähnen möchte ich den kolumbianischen Padre Camilo Torres, ein Bogotaner aus sehr reichen Verhältnissen. Er studierte Theologie in Bogotá und doktorierte anschliessend in Löwen (Belgien) in Soziologie. Nach seiner Rückkehr wurde er Kaplan der grossen Nationaluniversität (wo übrigens später meine Tochter Claudia Cristina Medizin studierte) und arbeitete entschlossen für Gerechtigkeit in Kolumbien.Wenn es darum ging Ausbeutung und unmenschliches Verhalten anzukreiden nahm er kein Blatt vor den Mund. Aber bald kam er in Konflikt mit dem Erzbischof von Bogotá weil sich mächtige Politiker bei ihm  beklagten und er wurde seines Amtes enthoben. Kurz darauf schloss er sich der Guerrillagruppe ELN an (nationale Befreiungsfront: die Gruppe, die mich später entführte!!) und wurde dann nach einem Jahr in einem Gefecht von dem Heer erschossen. Natürlich kannte er sich besser aus in Soziologie als mit Feuerwaffen!

Aber auch spanische Priester gingen diesen Weg, vielleicht hatten sie auch ähnliche Erlebnisse wie ich in Leiva. Ich weiss von Domingo Laín und Manuel Pérez, der jahrelange Chef des ELN. Für sie gab eine keine andere Wahl, nur den bewaffneten Widerstand.

Für mich kam diese Option nie in Frage. Schon von meinem Glauben her bin ich überzeugt, dass Gewalt nur zu mehr Gewalt führt. Blutvergiessen kann nicht der Weg  zur Veränderung sozialer Strukturen sein. Zudem sind die Opfer dieses Krieges immer die Armen; die Reichen senden ihre Söhne und Töchter nicht aufs  Schlachtfeld. Dies habe ich noch und noch in diesen letzten 47 Jahren gesehen. Von den rund 250’000 Toten des kolumbianischen Konfliktes (in 53 Jahren) kamen rund 95% aus den ärmsten Schichten, sei es seitens der Guerrilla oder des ordentlichen Heeres.

Aber ich war immer überzeugt, dass eine bewusstseinsbildende Arbeit (nach dem Vorbild des brasilianischen Pädagogen Paulo Freire) eine grosse Einschlagskraft hat. Nur wenn sich der arme und oft ausgebeutete Mensch bewusst ist, dass er Würde, Rechte aber auch Pflichten hat, beginnt er sich zu wehren. Wir haben mit dieser Arbeitsmethode oft kleine Wunder erlebt: nach diesem bewusstseinsbildenden Prozess beginnen viele Menschen sich zu organisieren und ihre Rechte zu verlangen. Dadurch konnten wir sehr oft die von der spanischen Kolonialkirche gepredigte Annahme der Armut, weil gottgewollt (wie sie ihnen gepredigt wurde), überwinden und die Menschen zu neuen und gerechteren Dimensionen führen und so unterstützen (apoyar).

2.1 Kapitel: Bewusstseinsbildung

Eine der wichtigsten Teile unserer Vorbereitung als Team für die zukünftige Pastoral- und Sozialarbeit waren Kurse und Diskussionsrunden an der Jesuitenuniversität von Bogotá im Jahre 1970/71. In diesen Runden sprach man damals sehr oft von einem brasilianischen Pädagogen: Paulo Freire und seinen Grundzügen der “Pädagogik der Unterdrückten”. Wir entschieden uns, diesem Erziehungsvorschlag mehrere Wochen zu widmen. Professoren aus Brasilien, Kolumbien und Holland leiteten die Runden.

Diese Pädagogik Paulo Freires orientierte weitgehend unsere Arbeit in Leiva, dem Dorf im Süden Kolumbiens, wo wir von 1971 bis 1977 tätig waren. Aber diese Philosophie orientierte auch unser Bemühen in der später gegründeten Stiftung Apoyar. Aus diesem Grunde möchte ich ein bisschen näher darauf eingehen.

“die Erziehung verändert die Welt nicht; verändert aber die Menschen, welche die Welt verändern!”

Nach Freire ist die wahre Berufung des Menschen die Humanisierung. Da es Unterdrückung gibt, sind Unterdrücker und Unterdrückte enthumanisiert und von sich selbst entfremdet. Um die Unterdrückten zu befreien, entwickelte Freire seine Pädagogik und gibt zu, dass sie eine politische Dimension hat. “Erziehung kann niemals neutral sein. Entweder ist sie ein Instrument zur Befreiung des Menschen, oder sie ist ein Instrument seiner Domestizierung, seiner Abrichtung für die Unterdrückung”.

Dieses kritische Bewusstsein entwickelt sich nach Freire in den folgenden 3 Stufen:

  • Naives Bewusstsein: der Mensch sieht seine Situation als unveränderlich an. In dieser Bewusstseinsstufe ist der Mensch der Meinung, dass die Welt, so wie sie ist, von Gott gewollt ist. Dies wurde den Indianern in Mittel- und Südamerika während Jahrhunderten von den spanischen Missionaren so gepredigt (mit nur wenigen Ausnahmen.)
  •  Transitives Bewusstsein: durch den Dialog nehmen die Menschen ihre Lebenswelt und die damit verbundenen Widersprüche und ungerechten Situationen wahr.
  • Kritisches Bewusstsein: der Mensch nimmt die Missstände der Welt nicht nur wahr, er kann sie auch kritisch reflektieren. Er ist somit in der Lage, Lösungen für seine Probleme zu suchen und diese auch zu verwirklichen.

Das Durchlaufen dieser verschiedenen Stadien nennt Freire “conscientización”, Bewusstseinsbildungsprozess. Freire definiert damit den Lehrgang, der nötig ist, um soziale, politische und wirtschaftliche Widersprüche zu begreifen und um Massnahmen gegen die unterdrückerischen Verhältnisse der Wirklichkeit zu ergreifen.
Aus diesem Grunde formuliert er die dialogische “problemformulierende Bildung” als Gegenpol zur vorherrschenden “Bankiersmethode”. Das Bankierkonzept geht davon aus, dass der Lehrer über alles Wissen verfügt, die Schüler dagegen kein Wissen haben und dass der Lehrer bei jedem Schüler quasi wie in einem Bankdepot Wissen anhäuft. Die Aufgabe des Lehrers besteht darin, den Schüler mit Wissen zu füllen, die Lebenswelt des Schülers, dessen Gedanken, Auffassungen und Bedürfnisse bleiben unberücksichtigt.

Wir als “Lehrerteam” wendeten immer diese neue, problemformulierende Weise an. Ob mit Kindern, Jugendlichen, Frauen oder Männern und Familien: immer setzen wir uns zum Dialog zusammen. Dies war und ist nicht immer leicht, die meisten armen Südamerikaner sind es nicht gewöhnt zu sprechen, zu formulieren. Sie haben bisher fast immer geschwiegen und zugehört, weil die sprechenden Personen mehr Kenntnisse haben! Und doch ist es nicht so; wir erlebten wahre Wunder. Plötzlich kamen die immer in der Runde sitzenden Personen aus sich heraus und formulierten ihre Gedanken und Bedürfnisse. Und nach fast 50 Jahren Erfahrung in dieser Arbeit muss ich sagen: diese Arbeitsmethode hat uns immer grosse Erfolge gebracht. Wir haben uns nie einer Gemeinschaft genähert mit bereits vorformulierten Projekten, wie ich es oft mit ausländischem Personal erfuhr: Damen und Herren aus Europa oder USA kamen in die Armenviertel und wussten bereits, was zu tun und zu verbessern war. Sie nahmen sich nicht die Zeit mit den involvierten Menschen zu reden. Die Erfolge solcher Projektarbeiten waren dann auch relativ arm.

Ausgehend von diesen Erfahrungen wendeten wir immer die für uns wichtigen 3 Säulen an: Teilnahme, Solidarität und Autonomie. (wesentliche Bestandteile der Arbeitsphilosophie der Stiftung Apoyar bis heute!)

Jede neue Projektarbeit wird immer im Dialog definiert. Daran nehmen die Leute in den Armenvierteln oder auf dem Land und die Mitarbeiter der Stiftung Apoyar teil. Die so erarbeiteten Verbesserungsideen werden in neuen Sozialprojekten formuliert, die anschliessend interessierten, staatlichen oder privaten, Organisationen zur Teilfinanzierung vorgelegt werden.

Eine zweite, äusserst wichtige, Säule ist die Solidarität. Vor allem im kolumbianischen Umfeld, wo wir in den letzten 30 Jahren immer mit vom Krieg vertriebenen Familien arbeiteten. Hier kamen Menschen zusammen, die von allen Ecken des riesigen Landes fliehen mussten: von der Karibik, vom Pazifik, vom Amazonasgebiet und auch vom Landesinneren. Meistens kamen sie in die Hauptstadt Bogotá oder andere Städte, wo sie sich ein bisschen sicherer fühlten. Neben der fürchterlichen Armut erschwerten soziale und, vor allem, kulturelle Verschiedenheiten die Gemeinschaftsarbeit. Der Erfolg der Arbeit hatte immer mit der erworbenen Solidarität zu tun. Nur wenn es ihnen, und auch uns, gelang, solidarische Beziehungen aufzubauen, hatten wir Erfolg. So benötigten wir immer auch eine Reihe von gut ausgebildeten Psychologen, die wesentlich mithalfen, neue Gemeinschaftsgruppen zu erstellen.

Und schlussendlich die Autonomie der Projekte. Jede Projektarbeit beinhaltet Gemeinschaftsorganisation, denn diese Aufgabe soll nicht nach einer gewissen Projektzeit enden. Ich möchte dies an 2 Beispielen aufzeigen:

  • In einem sehr armen und vernachlässigten Viertel in Bogotá von vertriebenen Familien wurden wir gebeten Kleinkinder zu betreuen, da sich bisher niemand um diese Kinder kümmerte. Nach den oben beschriebenen Arbeitssitzungen mit den Eltern begannen wir mit der Kinderbetreuung. Während den normalen 3 Jahren Dauer eines solchen Projektes wurde eine Elternorganisation aufgebaut, die, nach Ablauf der Projektdauer, die Leitung des Kinderhortes übernehmen sollten. Und dies ist uns in rund 90% der Fälle gelungen.
  • Die Landjugendheime (LJH) im Dept. Caldas. Mit der gleichen Methode konnten wir 5 solcher LJH aufbauen und den Bauernfamilien übergeben, und dies vor 20-25 Jahren. Die Bauer/innen überwachen und leiten die Heime und die Kinder können ihre Mittelschulstudien im grösseren Dorf abschliessen, denn dort wo sie leben gibt es diese nicht. Bisher hatten so rund 6500 Kinder die Möglichkeit zum Studium.

Es versteht sich, dass wir auch nach Übergabe eines Projektes weiterhin mit der Leitung in Kontakt bleiben. Sollte es zu Schwierigkeiten kommen, was ab und zu der Fall ist, stehen wir als Ratgeber zur Seite.

Der bewusstseinsbildende Prozess, von dem ich anfänglich sprach, hat sich bewährt!

2.2 Kapitel: Befreiungstheologie

Gegen Ende meines Theologiestudiums in Sitten, VS, hörte ich zum ersten Mal von der Theologie der Befreiung in Südamerika. Dies vor allem nach der zweiten lateimamerikanischen Bischofskonferenz 1968 in Medellín, Kolumbien, an der auch Papst Paul VI teilnahm. Hier erhob die gesamte südamerikanische Bischofsversammlung im Beisein und mit Billigung des Papstes die “Option für die Armen” zur Leitlinie der kirchlichen Position. Sie ist also eine in Lateinamerika entwickelte Richtung der christlichen Theologie. Sie versteht sich als “Stimme der Armen” und will zu ihrer Befreiung von Ausbeutung, Entrechtung und Unterdrückung beitragen. Aus der Situation sozial deklassierter Bevölkerungsteile heraus interpretiert sie biblische Tradition als Impuls für umfassende Gesellschaftskritik.

Aber bald darauf ergaben sich, vor allem in konservativen Kreisen der Kirche, zwangsläufig erhebliche Konflikte, die häufig in Disziplinarmassnahmen gegen einzelne Geistliche mündeten. (siehe Kapitel: ein Mann Gottes, P. Federico). Andere wurden ermordet, wie Oscar Romero 1980, Erzbischof von El Salvador. Wieder andere schlossen sich der kolumbianischen Guerillaorganisation ELN (nationale Befreiungsfront) an, wie der kolumbianische Padre Camilo Torres oder die spanischen Priester Domingo Laín und Manuel Pérez.

Die Befreiung ist ein durchgehendes Thema der Bibel. Gerade hier kommt der Exodustradition im Alten Testament eine Schlüsselrolle zu: hier erscheint der Gott Israels als der, “der das Elend seines Volkes sieht und die Schreie über ihre Bedränger hört”. Exodus 3.7 (Befreiung Israels aus der Sklaverei in Ägypten).

Dies wird im Neuen Testament ebenfalls gleich zu Anfang bekräftigt, wo María als Lobpreis für die ihr zugesagte Geburt des Messias singt: “Er stösst die Mächtigen vom Throne und erhebt die Niedrigen. Die Hungernden füllt er mit Gütern und lässt die Reichen leer ausgehen”. Lukas 1.54

Darum wird die Erlösung als Zentralbegriff der biblischen Botschaft nicht, wie in der traditionellen Theologie, ausschliesslich spirituell verstanden, sondern als eine sozialpolitische und ökonomische Veränderung. Somit ist das Heil, das die Bibel verkündet, nicht mehr nur auf das Jenseits bezogen, sondern auch auf die gesellschaftliche Realität im Diesseits.

Als ich Mitte 1970 in Bogotá ankam und mit meinem Sprachstudium begann, traf ich dauernd auf Gruppen von Bischöfen, Priestern, Schwestern und Laien, die diese neue theologische Ausrichtung diskutierten. Zudem nahm ich anfangs 1971 an einem sechsmonatigen Theologiekurs in Manizales (Kolumbien) über befreiungstheologische Katechese teil. Dies gab mir wichtige Impulse für meine spätere Pastoralarbeit in Leiva (siehe Kapitel: meine 25 Apostel).

Richard mit Bauern in Leiva 1975
“auch Freude und Musik ist befreiend!”, im Landjugendheim Arboleda.

Für mich war und ist es heute immer noch klar, dass die Theologie entweder befreiend ist, oder sie ist schlichtweg keine Theologie. Ich erinnere mich mit Schrecken an die Moraltheologie von Bernhard Häring beim Theologiestudium in Sitten. Eine auf 400 Seiten zusammengefasste Moraltheologie die mich immer an schwere Bürden erinnerte und nicht an eine frohe und befreiende Botschaft im Stil von Jesus Christus. Leider kam diese befreiende Ausrichtung in den 80er und 90-Jahren derart unter Beschuss, dass die bekanntesten Befreiungstheologen mundtot gemacht wurden: dies vor allem unter Johannes Paul II und Benedikt XVI. Ich erinnere mich noch bestens an einen Besuch des Polenpapstes in Nicaragua, wo er auch den dort bekanntesten Befreiungstheologen Ernesto Cardenal traf. Ernesto kniete sich vor dem Papst nieder, dieser gab ihm nicht einmal die Hand sondern erhob den Zeigefinger und drohte dem Priester wie ein erzürnter Vater seinem Kind. Die Szene wurde mehrmals im hiesigen Fernsehen ausgestrahlt.

Doch beim Kolumbienbesuch des jetzigen Papstes Franziskus, (September 2017) den ich mit viel Interesse verfolgte, hatte ich den Eindruck, dass sich wieder einiges in die befreiungstheologische Richtung öffnet. Aber es ist offensichtlich so, dass es noch viele dunkle Kräfte in der Kirche gibt, die den Stil von Franziskus nicht teilen wollen. Auch hier in Kolumbien sprachen ultrakonservative Kräfte vom jetzigen Papst als Verräter.

Auf alle Fälle hat mich diese theologische Ausrichtung in diesen 47 Jahren in Südamerika immer begleitet und ist heute noch die Kraftquelle aus der ich und meine Mitarbeiter in der Stiftung Apoyar schöpfen können.

Zum Abschluss dieses Themas ein Bibelzitat aus dem Jakobusbrief, das wohl keiner Erklärung bedarf:

“Höret, ihr Reichen! Weint und klaged über das Elend, das euch erwartet! Euer Reichtum ist verfault. Eure Kleider sind von Motten zerfressen. Euer Gold und Silber ist verrostet, und der Rost wird beweisen, wie ihr an eurem Reichtum gehangen habt: er wird euch wie Feuer verzehren! Schätze habt ihr aufgehäuft kurz vor dem Ende aller Dinge. Ihr habt den Arbeitern, die eure Felder mähten, den Lohn vorenthalten. Das schreit zum Himmel. Und die Klagerufe der Arbeiter sind dem Herrn der Welt zu Ohren gekommen. Ihr habt auf Erden geschwelgt und geprasst und euch an den Schlachttagen gemästet. Ihr habt dem Gerechten sein Recht und sein Leben genommen, und der konnte sich nicht wehren gegen euch!” (Jak. 5,1-6)

3.1 Kapitel: Ein Mann Gottes

Kurz nach meiner Ankunft in Kolumbien 1970 kam ich zur klaren Einsicht, dass diese meine Südamerikamission nicht Monate oder 3 Jahre dauern, sondern einen grossen Teil meines künftigen Lebens einnehmen würde. Aus diesem Grund fragte ich in Bogotá andauernd nach nachahmbaren Projekten, nach Personen oder Gruppen, die sich in besonderer Weise den Armen widmeten. So lernte ich das halbe Land kennen: von der Pazifik- bis zur Karibikküste, fast alle grösseren Städte des Landes und eine Reihe von landwirtschaftlichen Projekten. Dabei reiste ich nie im Flugzeug; im Bus und Taxi bekam ich viel mehr zu sehen und konnte unzählige, spannende Gespräche führen und viele interessante Menschen kennen lernen.

Was mich besonders interessierte war die Pastoralarbeit der katholischen Kirche, vor allem wegen der Befreiungstheologie , von der ich damals, und auch heute, voll überzeugt war und bin.
So wurde ich auf einen Priester in der Millionenstadt Medellín aufmerksam gemacht: Padre Federico Carrasquilla. Er war damals Pfarrer in einem der ärmsten und gewalttätigsten Viertel. Er war bekannt wegen seiner äusserst einfachen evangelischen Lebensweise und seinem entschiedenen Einsatz für Gerechtigkeit und Frieden in diesem Gebiet Medellíns.

Nach etwas Herumfragen erhielt ich Telefon und Adresse dieses Priesters und nahm mit ihm Kontakt auf. Es wunderte mich ein bisschen, dass er gleich einverstanden war, mich einige Tage bei sich aufzunehmen und es mir erlaubte, Einblick in seine Arbeit zu gewähren. Typisch kolumbianische Gastfreundschaft!!

Damals dauerte die Reise im Bus von Bogotá nach Medellín etwa 12 Stunden. Als ich im Busterminal in Medellín den Taxifahrer bat, mich ins Viertel Las Delicias zu bringen traute sich dieser seiner Augen nicht. Es dürfe doch nicht wahr sein, dass ich, ein Ausländer – “gringo” – in diesen Teil der Stadt wolle. Doch ich wollte und musste ihm dann noch einiges mehr bezahlen, denn selbst Taxifahrer wollten nicht unbedingt in diese Hölle. Und so kam ich mit gemischten Gefühlen, ein bisschen Angst und doch gespannt, auf das Treffen mit P. Carrasquilla in seine Pfarrei. Aber dies alles löste sich in Freude auf, nachdem ich auf eine einzigartige, in Medellín übliche, Herzlichkeit empfangen wurde.

Ich blieb gleich 2 Wochen und musste lernen, dass man in Antioquia (Dept. mit Hauptstadt Medellín) zu jeder Tages- und auch Nachtzeit Arepa isst – eine Art Maisfladen, speziell beliebt in diesem Landesteil. Anfänglich fehlte mir doch das Walliser Roggenbrot, doch es blieb mir keine andere Wahl. Heute bin ich ein begeisterter Arepa-Esser, da auch meine Frau aus diesem Landesteil kommt und sie mich überzeugen konnte.

P. Federico Carrasquilla

Aber nun zurück zu Federico: ein grossartiger Mensch: liebenswürdig, gesprächsfreudig, tief gläubig und äusserst beliebt in seiner Pfarrei. Aber auch fest überzeugt, dass nur ein gerechtes System dem Evangelium entspreche. Und so handelte er denn auch. In Las Delicias – “die Wonne” – gab es vom Guten nur wenig, dafür aber viel vom Bösen.

Das Erziehungsangebot war äusserst beschränkt und auf einem sehr tiefen Niveau. Zudem konnten viele Kinder nicht in die Schule. Die Eltern waren so arm, dass sie das Schulmaterial nicht kaufen konnten.

Die meisten Jugendlichen in Las Delicias bekamen somit keine oder nur eine sehr schlechte Ausbildung. Aus diesem Grund war ihnen der Arbeitsmarkt in Medellín nicht zugänglich. Dies wiederum führte dazu, dass viele sich bald auf der Seite des Verbrechens befanden: Überfälle, Raub, Drogenhandel und sogar Totschlag. Der später in Medellín lebende und weltbekannte Drogenboss Pablo Escobar hatte es leicht, in diesen Vierteln seine Mörder zu rekrutieren.

Auch die Gesundheitsversorgung war miserabel: kranke Menschen, aus Las Delicias, hatten kaum Zugang zur medizinischen Versorgung und mussten meist mit Naturheilern Vorlieb nehmen.

So setzten sich die Pfarrkinder unseres P. Federico aus einer aus allen Teilen des Departementes Antioquia zusammengewürfelten Menschengruppe zusammen, deren Überleben in Medellín kein Zuckerschlecken war. Als Pfarrer war er sich dieser Situation voll bewusst und hatte sich von Anfang an entschieden, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln dagegen zu kämpfen. Er war auch tief geprägt von der Befreiungstheologie und lehnte mit Vehemenz die von den spanischen Kolonialtheologen den Armen gegenüber gepredigte Vertröstung aufs Jenseits ab.

Gerechtigkeit soll nicht in die Ewigkeit vertröstet werden; sie soll hier und jetzt gelebt werden können.

Dies hiess aber keineswegs, dass Federico nicht aus einem tiefen Glauben lebte und Kräfte sammelte um diese Lage zu verbessern. In seinen Predigten suchte er die Gläubigen zu überzeugen, dass sie zusammen, und mit der Gnade Gottes, ein gerechteres Leben suchen müssen.

Aus diesen Gründen half er, Kommissionen der Bewohner zu organisieren und begleitete diese immer wieder zu den zuständigen Behörden: zum Erziehungssekretariat, zu den Verantwortlichen des Gesundheitswesens, zu den Polizeibehörden etc. in Medellín. Anfänglich wurden ihm und seinen Leuten die Türen geöffnet, man liess sie sprechen und versprach Verbesserung. Aber die Zeit – Jahre – verging und es erreignete sich nichts. Für die Politiker an der Macht war die Situation der Leute in Las Delicias nicht der Rede Wert. Aber Federico liess nicht los und immer wieder sprach er in den Verwaltungsgebäuden vor, nie allein, immer mit Gruppen aus dem Viertel.

Und so wurde er langsam zu einem Störfaktor. Man begann den Pfarrer von Las Delicias zu hassen und nannte ihn einen Kommunisten. Und nicht genug damit, man suchte Audienzen mit dem damaligen Erzbischof von Medellín: Mons. Alfonso López Trujillo. Immer wieder wurde Federico als der linke Pfarrer, der Kommunist und Ruhestörer gebrandmarkt. Schritt für Schritt liess sich Monseñor López überzeugen, dass Pfarrer Federico nicht der gefügige Hirte seiner Schäfchen und gehorsame Untertane der bischöflichen Gewalt sei. Etwas müsste nun geschehen! Mehrere Unterredungen im erzbischöflichen Palast brachte die beiden Gottesmänner auch nicht näher. Schlussendlich nahm der Kirchenfürst eine drastische Entscheidung: er enthob Federico seines Amtes als Pfarrer und ernannte ihn auch nicht in einem anderen Teil der Diozese. Aber P. Federico blieb in Las Delicias und kämpfte weiter um ein menschenwürdigeres Leben seiner Freunde.

Und nun noch ein Wort zu Mons. López Trujillo. Es handelte sich zweifelsfrei um einen äusserst intelligenten, aber ebenso konservativen, kolumbianischen Theologen. Seine Karriere in der Kirche ging immer aufwärts. So war er Ende 1960 schon Sekretär der südamerikanischen Bischofskonferenz, dann wurde er zum Bischof geweiht und war einige Jahre auch Präsident der Bischofskonferenz. Dann erhielt er die Leitung der Diözese Medellín, einer der wichtigsten Kolumbiens überhaupt, denn das Dept. Antioquia war immer schon ein Ort mit vielen Priestern und Nonnen. Mons. López Trujillo lebte als Erzbischof in einem riesigen Palast im Herzen von Medellín.

Aber er zeichnete sich vor allem aus als eiserner Vertreter der ultrakonservativen Theologie. Die ganze Diskussion um die Befreiungstheologie war für ihn ein rotes Tuch, sie konnte in der katholischen Kirche keinen Platz haben. Dies hatte er mit vielen südamerikanischen Bischöfen so durchgeboxt. Um so weniger wollte er in seiner Diozese Priester, wie den P. Federico, wirken lassen. Federico musste seines Amtes enthoben werden.

Während nun mein Gastgeber Federico Carrasquilla keine Eucharistie mehr mit seinen Gläubigen feiern konnte, wurde López Trujillo kurz darauf von Papst Johannes Paul II zum Kardinal ernannt. Damit nicht genug, bat ihn Johannes Paul bald darauf, nach Rom zu zügeln und übergab ihm das päpstliche Sekretariat für das Familienwesen weltweit, wo er bis zu seinem Tode wirkte.

Ich hatte weiterhin Kontakt mit Federico und rund 10 Jahre später luden wir ihn öfters nach Bogotá ein, damit er dem Team von der Stiftung Apoyar über seinen Glauben und seine Arbeit berichtete. Seine engagierte Art hat wesentlich dazu beigetragen, dass unsere Arbeitsphilosophie mit den Ärmsten immer klarer und auch vom christlichen Glauben geleitet wurde.
Schlussendlich möchte ich ehrlich sagen, dass ich weder vor Federico, noch nach ihm, einen Menschen kannte, der auf derart konsequente Weise die Nachfolge Christi predigte und lebte.

Aber eben, Menschen wie er, haben in diesem ultrakonservativen Gefüge keinen Platz: wie Jesus müssen sie verschwinden und am Kreuz sterben!!

3.2 Kapitel: Meine 25 Apostel

Wenn man in eine Pfarrei mit 12’000 Einwohnern, verteilt auf Dorfkern und 35 Weilern, kommt, fragt man sich, wo man überhaupt beginnen soll. Mir war gleich klar, dass ich nicht einfach im Pfarrhaus sitzen kann und warten soll auf die Gläubigen, die vielleicht einen kirchlichen Dienst erbitten. In unserem Team war ich vor allem verantwortlich für die Verkündigung des Wortes Gottes. Und die gewaltige Ausdehnung der Pfarrei benötigte eine neue Art der Glaubensverbreitung. Ausgehend von einem katechetischen und befreiungstheologischen Seminars vor meinem Einsatz, beschloss ich, wenn möglich, in jedem Weiler einen Katecheten –“Apostel” – ausbilden und einsetzen zu können.

Gesagt, getan! Nach einigen Monaten Besuchen, Gesprächen und Abwägungen hatte ich eine erste Gruppe von 35 AnwärterInnen. Fast alle Weiler waren vertreten. Und nun begann die Ausbildung, die alle wichtigen Themen der christlichen Botschaft beinhalteten: Gott und die Welt, die wichtigsten Lehren des Alten Testamentes (die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, der Weg durch die Wüste, das gelobte Land…), die Propheten, die Geburt und die Lehre Jesu, des Christus. Die neu entstandene Kirche. Ihre Rolle in dieser Welt, ihre Lehre etc..

Wir trafen uns alle 14 Tage im Pfarrhaus und es dauerte 18 Monate bis ich einigermassen den Eindruck hatte, jetzt sind meine “Apostel” einsatzbereit. Von den 35, die den Einführungskurs begannen, blieben noch 25; vor allem junge Frauen und Männer, ledige und verheiratete. Natürlich halfen auch meine Teamkollegen bei dieser Ausbildung kräftig mit. Aber alle hatten verstanden, dass sie eine wichtige Mission auszuführen hatten.
Worin bestand diese? Folgende pastoralen Aufgaben sollten sie in ihren Weilern nun übernehmen (vorher besuchte ich jede Gemeinschaft und stellte den Katecheten vor, immer mit der Bitte, dass die Gläubigen nun in ihm einen Stellvertreter des Pfarrers sehen sollten..):

  • Jeden Sonntag führte der Katechet mit seiner Gemeinschaft einen Wortgottesdienst durch. Anfänglich übergab ich jedem einige Tage vorher die ausgesuchten biblischen Texte mit einer einfachen Erklärung. Nach einigen kleinen Anfangsschwierigkeiten klappte dies ausserordentlich gut.
  •  Eine weitere Aufgabe: sie sollten die Eltern auf die Taufe ihrer Kinder vorbereiten. Bald konnte ich feststellen, dass sie dies besser konnten als ich selber!!
  • So bereiteten sie auch die Kinder auf den Empfang der Ersten Heiligen Kommunion vor.
  • Sogar eine Vorbereitung zur Ehe lag drin. Die meisten hatten hier Erfahrung, ich noch keine!
  • Wichtig war die Durchführung der Vorbereitungen für die grossen Feste: die Weihnachtsnovene – 9 Tage vor dem Weihnachtsfest – ist hier in Südamerika ein wesentlicher Bestandteil des Glaubens. Aber auch die Karwoche ist wichtig!
  • Schlussendlich waren die Katecheten mit der Zeit auch soziale Leader-Figuren. Sie leiteten die Gemeinschaftstreffen, organisierten Arbeiten, die für das Wohl der Leute wichtig waren, wie Verbesserung der Wege, Reparation einer Schule, Verbesserung der Trinkwasserzufuhr etc.
  • Zur selben Zeit ging auch die Weiterbildung fort, nicht alle 14 Tage. Doch wir trafen uns mindestens einmal alle 2 Monate und evaluierten und planten für die kommenden Wochen.

Ich war äusserst zufrieden mit der Einführung und dem Erfolg dieses pastoralen Musters. Während meiner Amtszeit gab es in Leiva keine andere Kirchengruppen, “Sekten”. Scheinbar war, durch unser Muster, die Nachfrage nach Glaubensversorgung gedeckt, die Familien mussten sich nicht nach anderen Gruppen umsehen, wie es heute der Fall ist. (Rund 20% der Gläubigen in Kolumbien gehören heute – 2017 – nicht mehr zur katholischen Kirche!).

in der Katechetenausbildung

Nach 5 Jahren Anwendung dieser pastoralen Arbeit kam schlussendlich der für uns zuständige Bischof nach Leiva. Mit Stolz und einer gewissen Genugtuung stellte ich ihm diese unsere “Apostel”vor. Ich war überzeugt, dass das von uns angewendete Muster auch in anderen, ähnlichen, Pfarreien der Diözese Schule machen könnte. Doch ich hatte mich wieder einmal geirrt. Der Kirchenfürst zeigte kein grosses Interesse für diese Erfahrung, ja er verbot sogar folgendes: die Katecheten dürften ab sofort keine Kommunion an kranke und alte Menschen in ihre Weiler bringen.

Kurze Zeit darauf entschloss ich mich Leiva zu verlassen. Zudem hatte ich kurz vorher meine zukünftige Frau Ana Dilia kennengelernt. Sie fiel mir gleich auf als fröhliche Person auf, aber vor allem auch als Mensch, der meine Ideale teilte: die Sorge um die armen und ausgebeuteten Menschen und der Wunsch nach einer gerechteren Gesellschaft. Sie hatte auch eine spezielle Berufung: die Wertschätzung und Gleichstellung der Frau in der südamerikanischen Gesellschaft, was gerade in Kolumbien von grosser Notwendigkeit war. Nach unserer Heirat arbeitete sie immer mit grosser Überzeugung diesem Ideal nach: jahrelang begleitete sie Frauen auf ihren nicht immer leichten Wegen. (siehe Kapitel über Ana Dilias Einsatz für die Frauen).

So bat ich meine Oberen um die Rückversetzung in den Laienstand und wir heirateten am 24. Juni 1978 in Medellín. Ana Dilia und ich waren uns einig: wir müssen unserer Berufung folgen und uns weiterhin für die Armen und Entrechteten einsetzen. Kurz nach unserer Ankunft in Bogotá wurde ich gebeten die Leitung der schweizerisch-kolumbianischen Vereinigung Paz en la Tierra (Frieden auf Erden) zu übernehmen. Ich konnte diesen Verein während den kommenden 10 Jahren leiten.

Unseren beiden Kinder, Claudia Cristina und Julián, durften in Bogotá in der Schweizer Schule studieren, eine ausgezeichnete Mittelschule. Aber so wie diese Schule qualitativ gut war, waren die geforderten Schulgelder hoch. Plötzlich konnten wir den finanziellen Forderungen nicht mehr nachkommen (obwohl ich als Schweizer nicht den vollen Betrag zu entrichten hatte!) Und so musste ich mich wieder um eine neue Einkommensquelle umsehen. Schweizer Freunde boten mir damals die Direktion der Schweizerisch-kolumbianischen Handelskammer an, was ich gleich annahm, denn die Bezahlung war bedeutend besser.
Doch von dieser Arbeitserfahrung möchte ich in einem neuen Abschnitt berichten.

3.3 Kapitel: In den Favelas von Rio de Janeiro

Während den rund 10 Jahren als Projektleiter der Schweizer NGO Vivamos Mejor begleitete ich viele Entwicklungsprojekte in verschiedenen Ländern von Zentral- und Südamerika. Vivamos Mejor (leben wir besser!) war früher einmal in Brasilien tätig, aber nicht mehr während meiner Amtszeit. So erhielt ich den Auftrag vom Vorstand in Bern, (heute Zürich) mit neuen Sozialprojekten in Brasilien zu beginnen. Keine leichte Aufgabe, da ich Brasilien noch nicht kannte. Schliesslich erhielt ich die Anschrift von einem Schweizer in Rio, Erwin Zimmermann. Er vertrat die internationale Organisation “Moralische Aufrüstung” mit Sitz im Schweizer Städtchen Caux. Mit ihm nahm ich Kontakt auf, gleich war er begeistert von unserem Vorschlag, in einigen Favelas von Río für sehr arme Kinder zu arbeiten.

Da er selber nur wenig Kontakt zu den Favelas hatte, schlug man mir vor, mit Vertretern der katholischen Kirche Kontakt aufzunehmen, was ich denn auch gleich unternahm. Herr Zimmermann verwies mich auf eine Schweizerin, die schon sehr lange in Río lebte und einen Schweizer Bischof aus St. Gallen kannte: Frau Marlise Rostock. Zusammen mit ihr wurden wir schlussendlich von diesem Weihbischof im Bischofspalast in Río empfangen. (leider kenne ich den Namen dieses Bischofes nicht mehr). Ich stellte die Schweizer NGO Vivamos Mejor vor, sprach von den vielen Programmen in den meisten Ländern von Mittel- und Südamerika und schlug vor, dass wir mit der katholischen Kirche zusammen solche Projekte in einer oder mehrerer Favelas durchführen könnten. Es war für mich klar, dass diese Zusammenarbeit einen Einstieg in den Elendsvierteln riesig erleichtert hätte, denn die meisten dieser Viertel waren von kriminellen Banden kontrolliert. Zudem war ich immer noch überzeugt, dass die Kirche doch sicher auch ein grosses Interesse haben könnte, um die Situation dieser Kinder und ihrer Eltern zu verbessern.

Doch ich hatte mich wieder einmal geirrt. Der Kirchenfürst aus St. Gallen liess mich nicht einmal unser gesamtes Programm vorstellen als er gleich seine abweisende Haltung zeigte. Die katholische Kirche sei an der Zusammenarbeit mit keiner NGO interessiert. Sein angeführter Grund: die Familienplanung. Einwände meinerseits beeindruckten ihn nicht, die Morallehre der Kirche sei mit diesen Methoden nicht einverstanden, keine Geburtenkontrolle und Punkt! Er nahm sich nicht einmal die Mühe mich zu fragen, was unsere Haltung zu dieser Angelegenheit sei. Damit war der Besuch abgeschlossen und wir verliessen den Bischofssitz ohne Resultat. Vor kurzer Zeit (2017) habe ich vom Sohn des Herrn Erwin Zimmermann, Werner, erfahren, dass man den Herrn Bischof wieder in die Schweiz “zurückschickte”, wegen seiner übertrieben konservativen Haltung.

Favelas in Rio

Dank der Hilfe von Herrn Erwin Zimmermann und seinen Beziehungen zur “Moralischen Aufrüstung” konnten wir schliesslich eine erste Favela besuchen: Caleme war ihr Name. Der Schweizer stellte uns der Gemeinschaftsorganisation vor und die kleine Gruppe war von unseren Absichten begeistert. Caleme war nicht das allerschlimmste in Río; was ich in den kommenden Jahren zu sehen bekam ist nur schwer beschreibbar: extreme Armut, schlechte Erziehung, unzureichende medizinische Versorgung und, vor allem, eine überall anwesende Gefahr der Banden, die vor allem den Drogenhandel unter Kontrolle hatten. Ich habe dies einige Jahre später selber erlebt: zusammen mit unserem brasilianischen Projektleiter Milicio Ströher besuchten wir auch uns unbekannte Favelas, in der Nachbarschaft von Caleme. Noch am gleichen Tag, abends, wurden wir von einer bekannten Frau informiert, dass wir uns dabei in grosser Gefahr befanden. Da die Bandenführer dieser Favela uns nicht kannten, wurde bereits der Befehl erlassen, dass man uns töten solle, denn es handle sich sicher um 2 “gringos”, die weiss Gott was in diesem Teil Ríos zu suchen hatten. Dank dem Eintreten dieser Frau und ihrer Information, die sie den Verbrechern geben konnte, kann ich diese Zeilen heute noch schreiben.

In relativ kurzer Zeit eröffneten wir den ersten Kinderhort. Ich konnte sehr engagierte, junge Leute anstellen, die für eine gute Arbeit sorgten. Die vielen frohen und gesunden Kinder zu sehen war für mich von grosser Genugtuung.

Doch ich möchte noch auf eine weitere interessante Entdeckung in Río verweisen. In einem Teil dieser Memoiren spreche ich ausführlich von der Befreiungstheologie und den damit entstandenen Basisgruppen der katholischen Kirche. Mit dem Rechtsrutsch in der Kirche, vor allem unter Johannes Paul II, wurden auch diesen Gruppen die Luft entzogen, weil sie sich vermehrt um die soziale Situation der Ärmsten einsetzten. Damit waren die Basisgruppen bald einmal Geschichte.

In Caleme und anderen Favelas von Río, (auch in Teresópolis), wo wir mit den Jahren andere Kinderzentren organisierten, kamen plötzlich junge Leute auf uns zu und baten uns, ihnen die Möglichkeit zu geben, bei unserem Sozialeinsatz zu helfen. Bald einmal stellte sich heraus, dass diese jungen Menschen zu früheren katholischen Basisgruppen gehörten. Man hatte ihnen damals ein weiteres Wirken verwehrt und nach unserer Ankunft sahen sie wieder eine neue, sinnvolle Aufgabe. Mit Begeisterung nahmen sie an unseren Aktivitäten, sowohl mit den Kindern als auch ihren Eltern, teil.

4. Kapitel: Entführung

3. Mai 1988, Tag des Heiligen Kreuzes. Es war gegen Mittag, als plötzlich ein junger Mann neben mir im Büro der Schweiz.-Kolumbianischen Handelskammer stand, seinen Revolver aus der Handtasche nahm und mir zu verstehen gab, dass dies nun eine Entführung sei. Als der erste Schreck ein bisschen vorüber war, wollte ich trotzdem wissen, was wohl der Grund dieses Vorgehens sein könnte. Mit trockener und zorniger Stimme gab er mir zu verstehen, es sei die Guerillaorganisation ELN (éjercito de liberación nacional – nationale Befreiungsfront) und diese benötige mich für einige Tage, ausserhalb von Bogotá. Zudem fragte er gleich nach meinem Kollegen Wilfried Lehner, damals Direktor der Stiftung Paz en la Tierra (Schweizer und mein Nachfolger in diesem Amt). Da Wilfried in diesem Augenblick auf der Bank war, sollten wir nun auf ihn warten, denn er werde auch von der gleichen Organisation erwartet. Zur selben Zeit wurde das gesamte Büropersonal in einem Zimmer eingeschlossen und es wurde ihnen streng befohlen nicht zu schreien. Zudem wurden auch alle Telefonleitungen durchschnitten. Als nach einer halben Stunde Wilfried Lehner erschien, wurden wir angewiesen, in einen vor dem Haus wartenden Jeep einzusteigen und los ging die Fahrt. Wir fuhren südlich aus der Stadt Bogotá in eine mir unbekannte Gegend. Nach 2 Stunden kamen wir auf ein kleines Bauerngehöft und mussten in den 2. Stock hinauf. Unter der Stiege sah ich eine grosse Menge von Esswaren: Kartoffel, Mais, Kochbananen, Reis etc. Nicht ohne eine gewisse Ironie sagte ich zu Wilfried: die Sache wird lange dauern: bis wir dies alles gegessen haben!!

In diesem Bauernhaus warteten bereits einige Entführte, andere kamen im Laufe des Nachmittags noch dazu. Gesamthaft waren wir 8 Geiseln: 5 Ausländer ( 2 Schweizer, ein Franzose, eine Schwedin und ein Mexikaner) und 3 kolumbianische Zeitungs- und Fernsehleute. Die junge, kolumbianische, Fernsehansagerin, Gloria Gómez, war kurz vor den Mittagsnachrichten im Schönheitssalon, um sich auf die Mittagsnachrichten vorzubereiten. Sie wurde auf dieselbe Weise entführt wie wir, keine Zeit mehr um weitere Schönheitsmittel aufzutragen!!

Meine Gedanken waren in erster Linie bei meiner Familie; ich wusste nicht, ob Ana Dilia, meine Frau und die Kinder Claudia Cristina und Julián bereits informiert wurden. Tatsächlich war es so, dass innerhalb dieses ganzen Durcheinanders im Büro niemand daran dachte, meine Familie zu unterrichten. Erst als ich am Abend nicht, wie gewohnt, Daheim erschien, fragte Ana Dilia nach der Ursache.

Und nun begann der Alltag der Entführten: einerseits wurden wir von den Guerilleros genau über die Lebensordnung informiert; militärisch streng war alles bis ins kleinste Detail vorgesehen. Ungehorsam wurde nicht geduldet. Andrerseits begannen wir 8 entführten uns kennen zu lernen. Obwohl der Schrecken über diese Entführung in den ersten Tagen noch tief in den Knochen sass, begannen wir gegenseitig Kenntnisse und Erfahrungen auszutauschen. Dieser Schritt machte das Zusammenleben ein bisschen erträglicher.

Der grösste Schreckensmoment war für mich der zweite Abend etwa gegen 22:00 Uhr. Wir befanden uns alle bereits im Bett, alle im selben Zimmer. Die Zimmertür stand immer offen, das Licht durfte nicht ausgeschaltet werden und ein Guerillero musste uns die ganze Nacht bewachen. Ich konnte nicht gleich einschlafen und sah besorgt auf den Wachmann.

Neben der Schusswaffe hatte er noch eine Granate in der Hand. Und plötzlich sah ich, wie diese aus seinen Händen rutschte und auf den Boden fiel.

Mir war sofort klar: bis hierher hast du es geschafft!! Meine letzten Gedanken an meine Familie. Doch die Sekunden vergingen und es passierte nichts. Die Handgranate explodierte nicht und ich konnte noch ein Dankesgebet sprechen. Ob ich in dieser Nacht noch etwas schlafen konnte, ist mir nicht mehr klar, wahrscheinlich kaum!

Und so vergingen die Tage. Man machte uns klar, dass das eigentliche Ziel dieser Entführung eine Art Pressekonferenz sei, nur müssten wir noch auf die ELN-Chefs warten. Nach drei langen Tagen kamen diese und die Sache konnte losgehen.

Nach einer kurzen Einführung in die Konferenz war die ganze Sache ziemlich klar: man wollte uns über die von ihnen strikt abgelehnten Praktiken der Regierung informieren, welche grosse Naturvorkommen zu Schleuderpreisen an ausländische Grossfirmen praktisch verschenkte. Bei diesen Vorkommen handelt es sich um: Erdöl, Kohle, Erdgas, Gold, Smaragde etc. Mit gut erarbeiteten Statistiken wurden wir während 3 Tagen mit diesen Fakten bombardiert. Diese Entführungen sollten nun bezwecken, dass wir, vor allem die Ausländer, diese Zahlen und Fakten in den jeweiligen Ländern veröffentlichen. Nach dem 2. Tag Versammlung kam eine sehr interessante Diskussion zustande, denn die meisten, vor allem die Zeitungsleute, hatten auch eine grosse Erfahrung auf diesem Gebiete. Und jetzt, nach 4 Tagen auf dem kleinen Bauerngut ergab sich, was man in diesen Fällen das Syndrom von Stockholm nennt: eine sich schrittweise ergebende Sympathie zwischen Entführern und Entführten. Die Guerilleros nahmen ihre Masken ab und auch wir konnten uns freier bewegen. Das Gesetz, dass bei jedem WC-Besuch an der offenen Tür ein Guerillero stehen musste, wurde schlussendlich aufgehoben und wir konnten unsere Geschäfte ruhiger abwickeln. Vor allem für die entführten Damen war dies eine grosse Erleichterung.

Was die Vortrags- und Diskussionsinhalte angeht waren wir in vielen Punkten der gleichen Meinung. Es ist tatsächlich so, dass hier viele, wertvolle Vorkommnisse in der Natur, zu Schleuderpreisen ausgebeutet und verkauft werden. Heute (2018) immer noch! Ich denke hier an die Schweizer Grossfirma Glencore, die in riesigen Mengen Kohle im Norden Kolumbiens abbaut und zu hohen Preisen (mit Riesenverdienst) in Europa verkauft.

Nach dem 6. Tag dieses eigenartigen Aufenthaltes auf dem Land sassen wir stundenlang zusammen, plauderten und tranken Whisky. Mir fiel besonders auf, dass einige der jungen Guerilleras ihre kleinen Kinder dabei hatten und betreuten. Diese spielten oft zwischen Puppen und den Waffen ihrer Mutter.

Und noch ein für mich wichtiges Detail: am 3. Tag fragten mich die Entführer nach meiner Familie in Bogotá und wie wir (meine Frau und ich) uns im Alltag anredeten. Tatsächlich nannten wir uns gegenseitig “mijita” und “mijito”, etwa meine Kleine und mein Kleiner. (immer noch, obwohl wir schon über 70 sind!!). Diese Intiminformation gab ich gerne weiter. Und tatsächlich telefonierte an diesem Abend eine Guerillera meiner Frau Ana Dilia und gab ihr herzliche Grüsse von “mijito” und versicherte ihr, dass es mir den Umständen gemäss gut gehe und dass ich sie herzlich grüsse. Eine riesen Erleichterung für meine Frau und die Kinder.

Nach dem 6. Tag informierte man uns über die Rückkehr nach Bogotá. Dies sei nicht immer ein leichtes Unterfangen, weil es schon geschehen sei, dass die Soldaten oder die Polizei die Entführten finde und diese töte, um damit die Guerilla in ein schlechtes Licht zu rücken; so zumindest die Entführer. Ob dies stimmt kann ich nicht sagen. Auf alle Fälle kamen wir mit drei Autos nach Bogotá. Noch vor der Einfahrt in die 10-Millionen Stadt ruft die Fernsehansagerin Gloria Gómez in ihr Studio und gab die notwendige Information über unsere Übergabe ab. So kamen wir zusammen bis in ein bekanntes Restaurant im Zentrum von Bogotá. Während die Guerilleros uns aussteigen liessen und sofort danach verschwanden, traten wir ein. Ich sah bereits die Fernsehkameras und fühlte mich wieder in Sicherheit. Müde, mit einem Bart von 7 Tagen, aber glücklich; es war vorbei!!

Wilfried und ich trafen uns dann anschliessend in der Stiftung Paz en la Tierra mit unseren Frauen und Angestellten. Welch eine Freude einander wieder umarmen zu können! Dank sei Gott kam alles zu einem guten Ende, es hätte auch anders herauskommen können.

Die Frage kam dann immer wieder: in Kolumbien bleiben oder in die Schweiz zurück??

Nach langem hin und her entschlossen wir uns, vorerst in Kolumbien zu bleiben. Und dies aus folgenden Gründen:

  •  Mit unserer Arbeit fühlten wir uns dermassen engagiert, dass ein Fortgehen vorerst nicht in Frage kam.
  • Für meine Frau Ana Dilia wäre es doppelt schwer gewesen, ihre Familie und ihr Umfeld hier zu verlassen.
  • Zudem fühlten wir uns auch solidarisch mit so vielen Opfern des kolumbianischen Konfliktes und schlussendlich
  • Eine neue, sinnvolle Aufgabe in der Schweiz zu finden wäre sicher nicht leicht gewesen.

Wenn wir heute, nach 30 Jahren, diesen Entscheid nochmals fällen müssten: wir wären sicher in Kolumbien geblieben!

5. Kapitel: Ana Dilias Engagement mit vielen Frauen in den Armenvierteln Kolumbiens

Ana DiliaMeine Frau Ana Dilia hatte immer schon eine besondere Berufung für die Frauen in den Armenvierteln in Bogotá. Dass dies von absoluter Notwendigkeit war und immer noch ist, darüber besteht kein Zweifel. Die Frauen sind immer noch der am meisten ausgebeutete Teil der hiesigen Bevölkerung. Die Frau ist Sexualobjekt, Gebärmaschine, Hausfrau und muss dem Mann immer willig zur Seite stehen. Der südamerikanische Macho hat Weltruf!

 

Seit viele, vor allem junge, Frauen begannen, selbstständiger zu werden, hat die Gewalt ihnen gegenüber noch zugenommen. Sie werden nicht mehr nur geschlagen, viele werden von ihren Ehemännern und Partnern umgebracht. “Entweder du lebst weiterhin mit mir, oder aber mit keinem anderen”, so heisst oft das Todesurteil. Nach offiziellen Angaben wurden 2016 in Kolumbien 431 Frauen ermordet und 7 von 10 kommen die Gewalt zu spüren. Handkehrum kann sich der Mann selbstverständlich jede Menge von Untreuesituationen erlauben. So sagte mir neulich ein Taxichauffeur in Bogotá: bei so vielen schönen Frauen in Kolumbien darf es doch nicht wahr sein, dass ich immer mit derselben ins Bett muss!

Dazu kommt noch, dass viele, sehr junge, Frauen geschwängert werden und dies von absolut unverantwortlichen Männern, die sich einfach nach der Geburt aus dem Staub machen. Die staatliche Gesetzgebung zum Schutz der Frauen und Kinder ist völlig veraltet und ungenügend, dies wissen die meisten Männer auch.

Aus diesen Gründen begannen wir gleich (1980) mit der Förderung der Frauen in den Armenvierteln, später auch auf dem Land.

Nach unserem Moto der bewusstseinsbildenden Arbeit begann Ana Dilia mit Besuchen der Frauen in diesen Vierteln und lud sie ein, sich in kleinen Gruppen zu treffen; in einem der Häuser oder in Gemeinschaftsräumen.

Damit die Frauen überhaupt kamen, oder die Bewilligung ihres Mannes erhielten, sprach sie anfänglich von Kursen zum Lismen und Stricken.

Bei den Temperaturen von Bogotá, auf 2’600 M über Meer, waren die Frauen bald einmal interessiert dies zu lernen: Pullover, Strümpfe etc. für ihre Kinder, ihren Mann und sich selber!

So begannen eine Reihe von Strickkursen, jede Gruppe traf sich zweimal wöchentlich mit Ana Dilia. Da sie dies ausgezeichnet beherrscht, waren die Damen bald einmal begeistert. Nach einigen Sitzungen konnten sie bereits die ersten Strümpfe heimtragen, oder sogar einen Pullover für den Mann.

Arbeitssitzung

Doch die Bewusstseinsbildung lag nicht im Lismen der Strümpfe sondern im Dialog. Während die Nadeln hin- und herschwirrten, begann Ana Dilia mit der Gruppe immer über ein wichtiges Familienthema zu sprechen: die Rolle der Frau in der Familie und im Staat, das Leben mit den Ehemännern, die Kinder, ihre Erziehung, die soziale und wirtschaftliche Situation, die Frau und die Politik, die Familienplanung etc. Es kam zu äusserst interessanten Gesprächen und Stellungnahmen.

Schritt für Schritt traten die Frauen aus ihren engen und ängstlich-häuslichen Haltungen heraus und begannen eigene Meinungen zu bilden und auch auszusprechen.

Und es blieb nach den vielen Treffen und Gesprächen nicht nur bei der Bildung eines neuen Bewusstseins ihrer Stellung als Frauen und Mütter. Plötzlich bekam dieses Bewusstsein einen neuen, wichtigen, Inhalt: vom Dialog zur Aktion!

Auf diese Weise kamen in den 30 Jahren Arbeit von Ana Dilia rund 10 Frauenorganisationen zustande:

  •  Die meisten Organisationen oder Vereine starteten rund um das Ziel der Kleinunternehmung: Herstellung von einfachen Kleidern, die sich relativ leicht im gleichen Viertel verkaufen liessen. Dies beinhaltete vor allem 2 Ziele: die Frauen konnten sich weiterhin treffen, miteinander reden und als Personen wachsen. Zugleich hatten sie eine zusätzliche, wichtige, Einnahmequelle für sich und ihre Familie, vor allem für die Kinder.
  • Einige wenige Vereine der Frauen bildeten sich, rund um die Lösung der sozialen und politischen Probleme in den verschiedenen Armenvierteln. Einzelne Frauen dieser Vereine engagierten sich dann besonders bei der Lösung von gesundheitlichen, erzieherischen und wirtschaftlichen Angelegenheiten. Andere nahmen aktiv an politischen Fragen teil und wurden sogar in wichtige Gremien gewählt, wo sie heute noch mitmachen.
  • Auch auf dem Lande (im Dept. Caldas, wo Ana Dilia auf die Welt kam und aufwuchs) organisierte sie Bäuerinnengruppen, immer mit der gleichen Arbeitsphilosophie: von der Bewusstseinbildung zur Aktion. 2 solcher Landvereine der Frauen widmeten sich der Produktion und dem Verkauf von landwirtschaftlichen Produkten.
Eröffnung eines Kleiderverkaufszentrums
Eröffnung eines Kleiderverkaufszentrums

Obwohl Ana Dilia heute im verdienten Ruhestand lebt, hat sie doch immer noch Kontakt mit anderen Sozialarbeiterinnen der Stiftung Apoyar, die mit derselben oder ähnlichen Methoden diese so notwendige Förderung der Frau weiterführen. Darüber später ein sehr interessanter Bericht über den Erfolg dieser Anstrengung!

Padre Alfonso Aufdereggen – (1844-1911) – Missionar, Klostergründer, Schriftsteller

Jugendzeit und Studium

Aufdereggen wurde am 24. Februar 1844 in Obergesteln geboren und auf den Namen Johann-Baptist getauft. Bereits ein Jahr später starben seine beiden Eltern: Johann Baptist und Catharina Weger. Zusammen mit seiner Schwester Catharina wurden sie von Verwandten aufgenommen und betreut.

1860 begann er sein Mittelschulstudium im Kollegium von Brig (wo übrigens auch meine Brüder Klaus, Bernhard, Jules und ich selber die Matura machten).

1865/66 studierte er in der Abtei St. Maurice um schliesslich 1867 in den Orden der Redemptoristen einzutreten.

In Südamerika

Von 1873 bis 1876 wirkte er als Priester in Frankreich und reiste 1876 nach Südamerika: Guayaquil. Anschliessend kam er ins bereits bestehende Kloster von Cuenca (Ekuador) und wurde dort Oberer im Jahre 1880.
1882, mit 38 Jahren, wird er bereits Provinzialoberer von ganz Südamerika.
Zur selben Zeit dachte er schon an eine Klosterneugründung in Kolumbien, wo die Redemptoristen damals noch keine Niederlassungen hatten.

Bereits 1884 wurde das von ihm ausgewählte Heiligtum in Buga zum ersten Kloster in Kolumbien.

Von 1893 bis 1895 kommt er nach Spanien, wo er wieder als Oberer wirkt. Aber er will wieder nach Südamerika, wo er die letzten Jahre im Süden von Kolumbien lebt.

Sein Gesundheitszustand wird immer schlechter. Man rät ihm zu einer Reise nach Lima, doch dieses Ziel erreicht er nicht mehr. Am 22. Dezember 1911 stirbt er im kleinen kolumbianischen Dörfchen Buenos Aires. 1976 werden seine Reste exhumiert und in die grosse Kathedrale nach Buga überführt. Bei dieser feierlichen Beilegung unter dem Hochaltar der Basilika in Buga durfte ich auch dabei sein.

Aufdereggen als Missionar

Pater Aufdereggen war, ohne Zweifel, in erster Linie, ein Verkünder des Wortes Gottes. Padre Alfonso und seine Amtsmitbrüder missionierten darum 400 Jahre nach Christoph Kolumbus Landung in Amerika nicht bei Heiden, wohl aber bei Menschen, deren Kenntnisse über das Christentum äusserst gering waren. Das lag zu einem am zahlenmässig geringen Landklerus, der zudem schlecht ausgebildet war, zum anderen an der Geringschätzung, mit der die Indianer von der weissen Oberschicht behandelt wurden. Für viele weisse Südamerikaner galten die Indianer grundsätzlich als zu dumm oder zu minderwertig, als dass sie es verdient hätten, mit Christus vertraut gemacht zu werden. Insofern war allein die Tatsache, dass Aufdereggen und seine Mitbrüder mit demselben Eifer Indianerdörfer, wie von weissen Siedlern bewohnte Kleinstädte besuchten, eine kleine Sensation, ein soziales Engagement, das nicht alle verstanden.
So fortschrittlich die Redemptoristen in ihrem Anliegen waren, die Indianer gleichberechtigt zu behandeln, so traditionell führten sie die Mission aus. Im Mittelpunkt ihrer Bemühungen standen keine sozialen oder gar sozial-politischen Fragen, sondern es ging ausschliesslich um die Seelenrettung der Christen.

Die politisch-gesellschaftliche Dimension der Botschaft Jesu, die heute aus der katholischen Soziallehre und der Theologie der Befreiung nicht mehr wegzudenken sind, war zu jener Zeit kein Thema kirchlicher Verkündigung.
Zudem begann zu dieser Zeit auch der Einzug des liberalen Gedankengutes in ganz Südamerika. In Ekuador kam es sogar zu Aufständen. Der damalige Erzbischof von Quito wurde vergiftet, Priester wurden umgebracht. Auch Aufdereggen wurde verfolgt, verhaftet und schliesslich nach Kolumbien ausgewiesen. (1897)

In Kolumbien blieb er schlussendlich bis zum Ende seines Lebens. (1911)
Seine unermüdlichen Missionsreisen, vor allem im Süden Kolumbiens, seine tagelangen Ritte, die vielen Besuche bei den Familien und das Spenden der Sakramente verweisen auf nur eines: ein Mann aus dem Wallis mit einem tiefen Glauben und einer eisernen Gesundheit.
Eigenartigerweise habe ich meine ersten Pastoral- und Sozialarbeiten in der gleichen Region gemacht wie P. Alfonso, nur 70 Jahre später. Beide ritten wir auf Maultieren tagelang durch den Urwald um uns anvertraute Gemeinschaften zu besuchen.

Die Klosterbasilika in Buga (Der Wundertätige)

Schon vor dem ersten Besuch Aufdereggens in Buga gab es in diesem Städtchen ein Heiligtum des “wundertätigen Herrn” (el milagroso). Der damalige Ortsbischof bot Aufdereggen diesen Ort als erste Hauptniederlassung der Redemptoristen in Kolumbien. Er nahm gleich an: ein solch wichtiges Heiligtum würde der Klostergemeinschaft auch die notwendigen finanziellen Mittel zum Überleben liefern! So wurde denn auch unter seiner Führung eine riesige Basilika erbaut, die noch heute immer von Millionen Kolumbianern und auch Ausländern jährlich besucht wird. Wie schon gesagt, jetzt ruhen die Überreste des Padre Alfonso genau unter dem Hochaltar dieses Gotteshauses.

Marietta und Richard Aufdereggen am Grab des Padre Alfono in Buga im Jahr 1988

Bemerkenswert sind auch seine theologischen Schriften. Neben seinen ausgedehnten Reisen in Südamerika, den Tätigkeiten als Oberer oder als Missionar fand er noch Zeit, religiöse Schriften zu verfassen. Da der Missionar nur sporadisch in die Pfarreien kam, wollte er ein wirksames Instrument zurücklassen, damit die gegründeten Gruppen und Bruderschaften weiterhin eine Quelle der Andacht hätten. So verfasste er rund 25 Gebetbücher, die fast alle im Benziger Verlag in der Schweiz gedruckt und in Südamerika verteilt wurden.

Und noch eins: trotz seiner Strenge und der ernsten Haltung war er voll Freude und Witz. Nach Schweizer Tradition konnte er am am 1. April seine “Fallen stellen” und herzlich über seine Mitbrüder lachen. Für ihn war eine erholsame und frohe Freizeit sehr wichtig. Oft sagte er: ein Heiliger, der traurig ist, ist ein trauriger Heiliger. Schon Paulus schrieb: ein fröhlicher Geber hat Gott gern. (2. Kor. 9.7)

Padre Aufdereggen, unser Familienheiliger!