3.2 Kapitel: Meine 25 Apostel

Wenn man in eine Pfarrei mit 12’000 Einwohnern, verteilt auf Dorfkern und 35 Weilern, kommt, fragt man sich, wo man überhaupt beginnen soll. Mir war gleich klar, dass ich nicht einfach im Pfarrhaus sitzen kann und warten soll auf die Gläubigen, die vielleicht einen kirchlichen Dienst erbitten. In unserem Team war ich vor allem verantwortlich für die Verkündigung des Wortes Gottes. Und die gewaltige Ausdehnung der Pfarrei benötigte eine neue Art der Glaubensverbreitung. Ausgehend von einem katechetischen und befreiungstheologischen Seminars vor meinem Einsatz, beschloss ich, wenn möglich, in jedem Weiler einen Katecheten –“Apostel” – ausbilden und einsetzen zu können.

Gesagt, getan! Nach einigen Monaten Besuchen, Gesprächen und Abwägungen hatte ich eine erste Gruppe von 35 AnwärterInnen. Fast alle Weiler waren vertreten. Und nun begann die Ausbildung, die alle wichtigen Themen der christlichen Botschaft beinhalteten: Gott und die Welt, die wichtigsten Lehren des Alten Testamentes (die Befreiung aus der Sklaverei in Ägypten, der Weg durch die Wüste, das gelobte Land…), die Propheten, die Geburt und die Lehre Jesu, des Christus. Die neu entstandene Kirche. Ihre Rolle in dieser Welt, ihre Lehre etc..

Wir trafen uns alle 14 Tage im Pfarrhaus und es dauerte 18 Monate bis ich einigermassen den Eindruck hatte, jetzt sind meine “Apostel” einsatzbereit. Von den 35, die den Einführungskurs begannen, blieben noch 25; vor allem junge Frauen und Männer, ledige und verheiratete. Natürlich halfen auch meine Teamkollegen bei dieser Ausbildung kräftig mit. Aber alle hatten verstanden, dass sie eine wichtige Mission auszuführen hatten.
Worin bestand diese? Folgende pastoralen Aufgaben sollten sie in ihren Weilern nun übernehmen (vorher besuchte ich jede Gemeinschaft und stellte den Katecheten vor, immer mit der Bitte, dass die Gläubigen nun in ihm einen Stellvertreter des Pfarrers sehen sollten..):

  • Jeden Sonntag führte der Katechet mit seiner Gemeinschaft einen Wortgottesdienst durch. Anfänglich übergab ich jedem einige Tage vorher die ausgesuchten biblischen Texte mit einer einfachen Erklärung. Nach einigen kleinen Anfangsschwierigkeiten klappte dies ausserordentlich gut.
  •  Eine weitere Aufgabe: sie sollten die Eltern auf die Taufe ihrer Kinder vorbereiten. Bald konnte ich feststellen, dass sie dies besser konnten als ich selber!!
  • So bereiteten sie auch die Kinder auf den Empfang der Ersten Heiligen Kommunion vor.
  • Sogar eine Vorbereitung zur Ehe lag drin. Die meisten hatten hier Erfahrung, ich noch keine!
  • Wichtig war die Durchführung der Vorbereitungen für die grossen Feste: die Weihnachtsnovene – 9 Tage vor dem Weihnachtsfest – ist hier in Südamerika ein wesentlicher Bestandteil des Glaubens. Aber auch die Karwoche ist wichtig!
  • Schlussendlich waren die Katecheten mit der Zeit auch soziale Leader-Figuren. Sie leiteten die Gemeinschaftstreffen, organisierten Arbeiten, die für das Wohl der Leute wichtig waren, wie Verbesserung der Wege, Reparation einer Schule, Verbesserung der Trinkwasserzufuhr etc.
  • Zur selben Zeit ging auch die Weiterbildung fort, nicht alle 14 Tage. Doch wir trafen uns mindestens einmal alle 2 Monate und evaluierten und planten für die kommenden Wochen.

Ich war äusserst zufrieden mit der Einführung und dem Erfolg dieses pastoralen Musters. Während meiner Amtszeit gab es in Leiva keine andere Kirchengruppen, “Sekten”. Scheinbar war, durch unser Muster, die Nachfrage nach Glaubensversorgung gedeckt, die Familien mussten sich nicht nach anderen Gruppen umsehen, wie es heute der Fall ist. (Rund 20% der Gläubigen in Kolumbien gehören heute – 2017 – nicht mehr zur katholischen Kirche!).

in der Katechetenausbildung

Nach 5 Jahren Anwendung dieser pastoralen Arbeit kam schlussendlich der für uns zuständige Bischof nach Leiva. Mit Stolz und einer gewissen Genugtuung stellte ich ihm diese unsere “Apostel”vor. Ich war überzeugt, dass das von uns angewendete Muster auch in anderen, ähnlichen, Pfarreien der Diözese Schule machen könnte. Doch ich hatte mich wieder einmal geirrt. Der Kirchenfürst zeigte kein grosses Interesse für diese Erfahrung, ja er verbot sogar folgendes: die Katecheten dürften ab sofort keine Kommunion an kranke und alte Menschen in ihre Weiler bringen.

Kurze Zeit darauf entschloss ich mich Leiva zu verlassen. Zudem hatte ich kurz vorher meine zukünftige Frau Ana Dilia kennengelernt. Sie fiel mir gleich auf als fröhliche Person auf, aber vor allem auch als Mensch, der meine Ideale teilte: die Sorge um die armen und ausgebeuteten Menschen und der Wunsch nach einer gerechteren Gesellschaft. Sie hatte auch eine spezielle Berufung: die Wertschätzung und Gleichstellung der Frau in der südamerikanischen Gesellschaft, was gerade in Kolumbien von grosser Notwendigkeit war. Nach unserer Heirat arbeitete sie immer mit grosser Überzeugung diesem Ideal nach: jahrelang begleitete sie Frauen auf ihren nicht immer leichten Wegen. (siehe Kapitel über Ana Dilias Einsatz für die Frauen).

So bat ich meine Oberen um die Rückversetzung in den Laienstand und wir heirateten am 24. Juni 1978 in Medellín. Ana Dilia und ich waren uns einig: wir müssen unserer Berufung folgen und uns weiterhin für die Armen und Entrechteten einsetzen. Kurz nach unserer Ankunft in Bogotá wurde ich gebeten die Leitung der schweizerisch-kolumbianischen Vereinigung Paz en la Tierra (Frieden auf Erden) zu übernehmen. Ich konnte diesen Verein während den kommenden 10 Jahren leiten.

Unseren beiden Kinder, Claudia Cristina und Julián, durften in Bogotá in der Schweizer Schule studieren, eine ausgezeichnete Mittelschule. Aber so wie diese Schule qualitativ gut war, waren die geforderten Schulgelder hoch. Plötzlich konnten wir den finanziellen Forderungen nicht mehr nachkommen (obwohl ich als Schweizer nicht den vollen Betrag zu entrichten hatte!) Und so musste ich mich wieder um eine neue Einkommensquelle umsehen. Schweizer Freunde boten mir damals die Direktion der Schweizerisch-kolumbianischen Handelskammer an, was ich gleich annahm, denn die Bezahlung war bedeutend besser.
Doch von dieser Arbeitserfahrung möchte ich in einem neuen Abschnitt berichten.

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